Vielleicht wird man in Prag in Zukunft vom Robert-Langdon-Effekt sprechen. Der Harvard-Professor, bei dem man seit «Da Vinci Code» unweigerlich an Tom Hanks denken muss, knackt seine Codes dieses Mal nämlich in der tschechischen Hauptstadt.
Es wäre darum wenig erstaunlich, wenn sich zu den Unmengen an Touristen nun auch eingefleischte Dan-Brown-Fans gesellen, die sich auf Langdons Spuren durch Prags pittoreske Gassen quetschen.
Denn über weite Strecken liest sich «The Secret of Secrets» wie ein abenteuerlicher Fremdenführer: waghalsige Stürze in die Moldau, gruselige Gestalten auf der Karlsbrücke und Schiessereien und Verfolgungsjagden auf dem Stadthügel Petřín.
Ein Plot für Verschwörungstheoretiker
Nach Prag reist Robert Langdon wegen seines neuen Gspusis Katherine Solomon. Die Wissenschaftlerin hält hier einen Vortrag über ihre Entdeckungen zum menschlichen Bewusstsein. Welche «bahnbrechenden» und «alles verändernden» Erkenntnisse das genau sein sollen, wird jedoch erst ihr Buch enthüllen, das kurz vor der Veröffentlichung steht.
Aber plötzlich verschwindet sowohl die Wissenschaftlerin als auch ihr Manuskript. Von da an spurtet Langdon in Strick-Pulli und Loafer kreuz und quer durch Prag, auf der Suche nach seiner Freundin.
Am Ende entdeckt der Symbologe ein unterirdisches Labor und kommt dabei dunklen Mächten auf die Spur, die sogar mit den höchsten Kreisen der US-Regierung verstrickt sind. Ein aufregender Plot, der jeden Verschwörungstheoretiker ganz hibbelig machen muss.
Mordende Freaks
Dan Brown greift auch im neusten Thriller auf bewährte Mittel zurück: grosse Themen mit Potenzial zur Weltverschwörung, viele Leichen und ein mysteriöser Freak, der sein Unwesen treibt.
Nach einem Albino-Mönchen («Sakrileg») und tätowierten Fanatikern («Das verlorene Symbol») ist das diesmal ein Typ, der sich für einen Golem hält. Verkleidet als solche Figur aus der jüdisch-mittelalterlichen Mystik zieht er mordend durch Prag und hat es auch auf Robert Langdon abgesehen.
Die Frage, was es mit diesem Lehm beschmierten Irren auf sich hat, hält ebenso bei Laune wie Dan Browns Versprechen, dass am Ende ein grosses Geheimnis gelüftet wird: Katherine Solomons sensationelle Entdeckung.
Aber: Wer bis zum Schluss und damit 800 Seiten lang durchhält, bleibt ratlos zurück. So richtig rausrücken will der Autor nicht mit der alles verändernde Erkenntnis. Könnte es also sein, dass der grosse Dan Brown selbst nicht genau weiss, was es mit dem Geheimnis aller Geheimnisse auf sich hat?
Rasantes Gefasel
Der Bestseller-Autor schafft es immer wieder, banale «Alles hängt mit allem zusammen»-Floskeln als besonders intelligente Raffinesse zu verkaufen. Das macht er mit einer effekthascherischen Sprache und hochtrabenden Dialogen, die bei genauerer Betrachtung an Drehbücher seichter Vorabendsendungen erinnern.
Was man aber nicht abstreiten kann: «The Secret of Secrets» ist spannend. Das liegt an schnellen Szenenwechseln, jede Menger Cliffhangern und einem dichten und ereignisreichen Plot. Als süffiger Schmöker für ein langes Wochenende eignet sich das prima.
Dan Browns Ausführungen zum menschlichen Bewusstsein entpuppen sich hingegen als Dampfplauderei. Und so wirklich taugt der Roman auch als Reiseführer nicht – ausser man hat Lust auf Overtourism.