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Diskussion um Nobelpreis für Handke
Aus Kultur-Aktualität vom 15.10.2019. Bild: keystone
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Umstrittener Nobelpreisträger «Handke hat Mittel benutzt, die er nicht beherrscht»

Der Literaturnobelpreis 2019 ging an den österreichischen Schriftsteller Peter Handke. Seit der Verkündung letzte Woche wird die Kritik an der Entscheidung der Jury immer lauter und drängt Worte des Lobes zunehmend zurück. Hauptstreitpunkt ist Handkes Parteinahme für die serbischen Nationalisten während der Jugoslawien-Kriege in den 1990er-Jahren.

Literaturkritiker Thomas Steinfeld ordnet Handkes Äusserungen von damals ein und erklärt deren «komplementäre Einseitigkeit».

Thomas Steinfeld

Thomas Steinfeld

Kulturwissenschaftler

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Thomas Steinfeld (* 1954 ) ist ein deutscher Journalist, Literaturkritiker und Autor. Er arbeitet als leitender Redakteur bei der «Süddeutschen Zeitung».

SRF: Seit der Vergabe des Literaturnobelpreises gibt es immer mehr Stimmen, die die Ehrung für Peter Handke in Zweifel ziehen. Sind die Ihrer Meinung nach gerechtfertigt?

Thomas Steinfeld: Die Gegenüberstellung Handkes politischer Äusserungen und seines literarischen Werks bringt uns nicht weit. Man muss verstehen, was damals geschehen ist. Und das ist ein merkwürdiges Ineinander von Politik und Literatur, das ziemlich unglückliche Folgen hat.

Wie lässt sich das erklären?

Um das Ganze zu verstehen, muss man zurückgehen in die Geschichte der 1990er-Jahre und in die Geschichte der jugoslawischen Kriege. Und es ist so: Der Stand von 1992 ist nicht der von 1996, der von 1996 ist nicht der von 1999, und der von 1999 ist nicht der von 2006. Da sind verschiedene Dinge passiert, die nun alle in einen Topf geworfen werden.

Um es zu einfach zu sagen: Was Peter Handke gemacht hat – vor allem 1995 und 1996, als seine beiden zentralen Schriften erschienen sind, die in der Kritik stehen –, das war ein Fall von komplementärer Einseitigkeit gewesen.

Kritik an Nobelpreisvergabe an Peter Handke

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Wie meinen Sie das?

Es gab eine Einheitlichkeit des Westens den Serben gegenüber, die sehr weit reichte: von Johann Georg Reissmüller, dem konservativen Herausgeber der FAZ, bis hin zu Joschka Fischer bei den Grünen.

Diese Leute hatten sich darauf konzentriert, die Serben als Hauptschuldige an diesem grossen, furchtbaren Krieg zu definieren. In dieser Situation ist Handke losmarschiert und hat versucht, eine Gegenposition aufzubauen. In dieser wurden dann die Guten böse und die Bösen gut.

Das ist eine komplementäre Einseitigkeit gewesen, die man nur nachvollziehen kann, wenn man den Meinungsextremismus, der in dieser Zeit herrschte, noch im Kopf hat.

Handke hat dann auch Mittel benutzt, die er nicht beherrscht. Er hat sich zu einem alternativen Reporter gemacht. Das Unglück ist aber, dass er kein Reporter ist, sondern ein Schriftsteller.

Dann sind diese verqueren Dinge dabei rausgekommen. Seine Bilder sind schief, sie kommen aus der Not eines einseitigen Moralismus heraus. Handke hatte sich im Repertoire vergriffen.

Die unterschiedlichen Argumentationen – über Handkes politische Äusserungen und sein literarisches Werk – treffen sich diese irgendwo?

Das tun sie nicht. Über Peter Handke kann man unendlich viele Dinge sagen. Er ist seit den späten 60er-Jahren einer der wichtigsten Schriftsteller der Welt. Nicht auf den Publikumserfolg bezogen, sondern auf seinen Einfluss auf andere Autorinnen und Autoren.

Mit seinen frühen Werken hatte Handke eine neue Form des subjektiven Schreibens entwickelt und damit ein Muster für viele andere Autorinnen und Autoren geliefert. In seinen Stücken schuf er eine komplett neue Theatersprache, die es vorher nicht gab. Diese Errungenschaften werden aber einfach weggewischt von so einem moralischen Eifer, der glaubt, sich gar nicht mehr rechtfertigen zu müssen. Das ist nicht richtig.

Wie könnte die Diskussion fruchtbarer werden?

Ich glaube, das Wichtigste wäre, mit einem ruhigen, besonnenen Kopf hinzugehen und die Geschichte der Jugoslawienkriege – insbesondere, was die westliche Berichterstattung angeht – genau zu rekonstruieren. Der Meinungsextremismus sieht anders aus, wenn man ihn in seinen zeithistorischen Kontext setzt.

Das Gespräch führte Simon Leuthold.

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Literatur-Nobelpreise: Zweimal Europa
aus Echo der Zeit vom 10.10.2019. Bild: Keystone
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