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Literatur Wolf Biermann: «Das ist nix mit Leberwurst, mein Lieber!»

Der Vater starb in Auschwitz, die Mutter kämpfte gegen Hitler, er selbst wurde zum berühmtesten Liedermacher der DDR. Nun hat Wolf Biermann eine neue Autobiografie veröffentlicht, pünktlich zu seinem 80. Geburtstag. Wir haben mit ihm über die wichtigen Brüche in seinem Leben gesprochen.

Mitte November werden Sie 80 Jahre alt. Als Sie halb so alt waren, im November 1976, wurden Sie ausgebürgert. Das war eine Zäsur. War das die wichtigste Zäsur?

Wolf Biermann: Das war auf jeden Fall einer der wichtigen Brüche in meinem Leben, aber wie Sie schon dunkel ahnen, gab es auch noch andere. Der wichtigste Bruch in der Jugendzeit vorher, das muss ich Ihnen auf die Schweizer Nase binden, war 1953. Da kam ich mit 16 Jahren in die DDR.

Zur Person

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Legende: Keystone

Wolf Biermann, geb. am 15. November 1936 in Hamburg, ist einer der bekanntesten deutschen Liedermacher. 1953 wanderte er in die DDR aus, wurde aber zum scharfen Kritiker der SED-Parteidiktatur. 1976 hat ihn die DDR deshalb ausgebürgert, was in Ost- sowie Westdeutschland zu grossen Protesten führte. Heute lebt und arbeitet er wieder in Hamburg.

Das war vielleicht der wichtigste Bruch in meinem Leben. Weil ich doch durch Zufall der Geburt nicht aus einer Nazi-Familie kam, sondern aus einer Kommunisten-Familie, einer Judenfamilie. Deswegen wuchs ich mit meiner Mutter in Hamburg auf, nach dem Krieg. Als einer, der ein richtiger, guter, tapferer Kommunist werden sollte.

Schon in der Nazizeit kämpfte meine Mutter ihren Krieg gegen Adolf Hitler. Ihre einzige Waffe, die sie wirklich hatte, war ihr Kind. Sie hatte den militanten Ehrgeiz, mich so zu prägen, dass ich, wie sie es in ihrer kindlichen Sprache nannte, meinen Vater rächen sollte.

Das war der Grund, warum ich dann in den Osten ging, als Millionen Menschen mir entgegenkamen. Die rannten alle aus der Diktatur in die Demokratie. Sie hatten auch gute Gründe dafür. Aber ich hatte gute Gründe, aus der Demokratie in die richtige, echte Diktatur zu gehen.

Sie haben gesagt: «Kommunismus soff ich schon mit der Muttermilch». Und lange auch: «Ich halte die DDR für den besseren Deutschen Staat.» Aber jetzt sind Sie kein Kommunist mehr. Das ist womöglich die grösste Zäsur. Wann ist die passiert?

Das war der Bruch, der mir am allerschwersten gefallen ist. Das ist eigentlich gar kein Punkt, wie Sie sich schon denken können, sondern ein ziemlich komplizierter Prozess. Und trotzdem kann ich einen Punkt ausmachen. Nämlich das Jahr 1983. Damals traf ich meinen neuen alten Freund, den Schriftsteller und Psychologen Manès Sperber. Der hat dem Wolf, dem jungen Biermann, den kommunistischen Zahn gezogen.

Wie?

Raffiniert natürlich. Er gab mir eine wunderbare Betäubungsspritze, indem er sagte: «Lieber Herr Biermann, ich kenne etliche Ihrer Lieder und Gedichte. Und ich muss Ihnen sagen, Sie sind weit hinter Ihren Liedern und Gedichten zurückgeblieben. Sie sind nicht auf dem Niveau Ihrer Kunst und müssten eigentlich, endlich, die Kraft, den Mut haben, mit dem Kommunismus zu brechen.» Und einmal dürfen Sie raten, was diese Schmerzspritze war.

Er hat Sie bei Ihrer Eitelkeit gepackt.

Richtig. Wer hat Ihnen das verraten? Der Sperber gab mir die Betäubungsspritze, dass er mich für einen grossen Dichter hält. Dem ist keiner gewachsen, das ist klar. Später konnte ich sagen: Mama, es hat gar nicht wehgetan.

Die Leute, die jetzt dröhnen: ‹Wir sind das Volk!›, die sind das Volk – nur im allermiesesten, allerschäbigsten Sinne.

Wo ist denn jetzt Ihre politische Heimat? Bei der CDU?

Das ist so eine typische Journalistenfrage. Die passt nicht zu einem Schweizer.

Als überzeugter Demokrat müssen Sie doch wählen. Was wählen Sie denn jetzt?

Ich wähle nicht die CDU, sondern Angela Merkel. Ich freue mich, dass sie die einzige echte SPD-Politikerin Deutschlands ist. Und natürlich graut mir vor den Linksradikalen, will sagen die «Linksalternaiven» und natürlich graut mir vor diesen Rechtspopulisten. Also Pegida, AfD und all diese Lichtgestalten.

Die Leute, die jetzt dröhnen: «Wir sind das Volk!», die sind das Volk – nur im allermiesesten, allerschäbigsten Sinne. Sie sind die Erben von zwei Diktaturen. Auch wenn sie dort selber nicht gelebt haben. Sie sind die Kinder dieser Leute, die alles mitgemacht haben. Es dauert unglaublich lange, bis die Sklavenseele von Menschen, die unterdrückt wurden, sich wieder regeneriert.

Sie haben vier Frauen und zehn Kinder. Es klingt alles sehr harmonisch in Ihrem Buch, aber wenn ich das lese, ist es auch wahnsinnig brutal.

Mit Recht! Gut, dass Sie das durchschaut haben. Dazu habe ich es ja geschrieben.

Sind Sie so brutal?

Ich bin nicht brutal, sondern ein Dichter. Ich bin dazu verurteilt, das Wenige, was ich rausgekriegt habe, so deutlich wie möglich zu sagen. Damit Sie was davon haben. Ich lebte damals in einem Wirrwarr, den Brecht etwas salopp und romantisch «das Spiel der Geschlechter» nennt.

Ich brauchte ein paar Jahre, bis ich merkte: Wer nicht ruht in der Liebe zu einem bestimmten Menschen, wird den Reichtum der Menschheit nie erfassen können.

Damals brüsteten wir uns damit, dass wir mit allen ins Bett gehen, die uns gerade in die Finger kommen. Ich brauchte ein paar Jahre, bis ich merkte: Wer nicht ruht in der Liebe zu einem bestimmten Menschen und rummacht wie ein kleiner Dummfick – das war das Modewort damals – der wird den Reichtum der Menschheit, oder weniger pathetisch: die Vielfalt der schönen Frauen, nie erfassen können.

Ich brauchte Jahre bis ich dahinterkam, dass ich dies nur erreiche, wenn ich eine Frau tief liebe. Für alle reicht’s ja sowieso nicht.

Der junge Wolf Biermann singt mit Gitarre.
Legende: Wende in Sicht: Auftritt Biermann in der TV-Sendung «Wetten dass...?» am 1. Januar 1989. imago/bernd müller

Im November 1989, als die Mauer fiel, gingen Sie nicht nach Berlin. Sie haben geschrieben: «Ich war zu stolz, zu müde, ich wollte nicht wie ein geprügelter Hund in die Küche der Weltgeschichte schleichen und dem Koch ein Ei stehlen.»

Das klang ein bisschen nach beleidigter Leberwurst: Wenn die DDR untergeht ohne mich, dann gehe ich jetzt nicht dahin – die müssen mich noch rufen.

Mein Lieber, das können Sie in der Schweiz eine beleidigte Leberwurst nennen, das ist Ihr Menschenrecht. Aber das ist natürlich Blödsinn. Das war nicht «beleidigte Leberwurst»: Es war viel, viel, viel schlimmer! Viel ernster. Viel tragischer. Viel giftiger. Und das, mein lieber Schweizer, weiss jeder Mensch.

Es ist meine Aufgabe als Dichter, genau dieses Gefühl – die existenzielle Notlage – zu formulieren.

Buchhinweis

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Wolf Biermann: «Warte nicht auf bessre Zeiten! Die Autobiographie.» Propyläen, 2016.

Das Exil für Leute, die aus irgendwelchen Gründen verjagt werden, aus ihrem Land, aus Südamerika, aus Russland, aus Nazideutschland oder sonst wo, beginnt oft erst dann, wenn es zu Ende ist. Dann merkt man, dass man alt geworden ist. Dass man nicht mehr dazugehört, dass die längst ohne einen auskommen.

Es ist meine Aufgabe als Dichter, genau dieses Gefühl – die existenzielle Notlage – zu formulieren. Verstehen Sie? Und zwar nicht, wie Sie es runterziehen wollen, als beleidigte Leberwurst, mein Lieber, das ist nix mit Leberwurst! Das ist was mit Blutwurst, wenn Sie schon mit Würsten handeln wollen.

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