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Zum Bestseller gezwitschert Der Tweet einer No-Name-Autorin bringt Trost von Stephen King

Seit Elon Musk bei Twitter am Ruder sitzt, reissen die Negativschlagzeilen nicht ab. Umso erquicklicher ist die Geschichte einer Autorin, die dank Twitter plötzlich zum Star wird.

Die Abrissbirne beherrscht Elon Musk offenkundig vorzüglich. Seit der Multimilliardär den Chefsessel beim Kurznachrichten-Dienst Twitter übernommen hat, bleibt im US-Unternehmen kein Stein auf dem anderen.

Ausdünnen der Chefetage, Massenentlassungen bei der Belegschaft, neue Einnahmen dank eines umstrittenen Bezahlmodells für Nutzende oder erneute Zulassung von gesperrten Accounts. Blöd nur, dass etwa der gebannte Donald Trump gar nicht zu Twitter zurückwill.

Aufsteller gesucht

Die kritischen Stimmen innerhalb und ausserhalb der Firma mehren sich, die deren Niedergang prophezeien. Umso dankbarer dürfte der Patron sein, dass jetzt endlich wieder einmal eine positive Meldung die Runde macht.

Zu verdanken hat er diese der noch bis vor kurzem völlig unbekannten jungen Bibliothekarin, Fantasy-Liebhaberin und Teilzeitautorin Chelsea Banning aus Ohio. Schon in ihren Teenagerjahren beginnt sie zu schreiben.

Ganze 14 Jahre sitzt sie über ihrem ersten Romanprojekt «Of Crowns and Legends». Am vergangenen 22. August ist der langersehnte Moment da: Der fantastische Roman über die Kinder von König Arthur erscheint.

Kein Enthusiasmus für den Erstling

Einziger Makel: Kaum jemand interessiert sich für das mit zäher Ausdauer verfasste Debüt. Die Jungautorin schlägt via Social Media über Monate die Werbetrommel. Vergebens.

Der letzte Versuch – eine Lesung in einer Bibliothek. Erneut Fehlanzeige. Nur gerade zwei Menschen verirren sich in den Saal. Und – dem Vernehmen nach – einer ihrer Hunde.

Chelsea Banning ist am Ende ihrer Kräfte. Sie setzt einen Tweet ab: «Gestern kamen nur zwei Leute zu meiner Signierstunde.» Scham.

Stephen King fühlt mit

Was jetzt geschieht, kann niemand voraussehen. Chelsea Bannings Tweet macht die Runde. Hunderttausende sehen ihn, haben Mitleid, setzen tröstliche Kommentare ab.

Unter ihnen sind manche Autorinnen und Autoren. Auch renommierte Namen wie Margaret Atwood. Sie zwitschert «Willkommen im Klub!», um dann tröstlich fortzufahren, auch sie sei an Signierstunden schon mutterseelenallein gewesen.

Empathie zeigt auch Stephen King, ansonsten bekannt als Altmeister des Horrors: Ihm sei es einst noch dreckiger ergangen als ihr. Er sei einmal der einzige Anwesende an einer seiner Lesungen gewesen. Und dann sei – als gemeine Zugabe – noch ein «fettes Kind» aufgetaucht, das ihn fragte, ob es da irgendwelche «Nazibücher» gebe.

Gehypt, gekauft, aber kaum gelesen

Nicht weniger als 79'000 Userinnen und User hinterlassen bei Chelsea Banning Likes. Was beweist: Offenbar funktioniert bei Twitter der für alle Social-Media-Kanäle elementare Vervielfältigungseffekt noch immer, Elon Musk hin oder her.

Bei Banning beginnt die Kasse zu klingeln: «Of Crowns and Legends» mausert sich zum Hit in den Amazon-Charts. Eine neue Auflage muss her.

Medien weit über die USA hinaus berichten über die wundersame Geschichte von Twitter, das einen Literaturstar geboren hat und nach langer Durststrecke zu einer positiven Schlagzeile gelangt. Zumindest für einmal.

Offen bleiben die Auswirkungen der Geschichte auf die Karriere von Chelsea Banning. Was ihr Fantasy-Roman literarisch taugt, war bisher nämlich nirgends zu lesen. Von den vielen Twitter-Claqueuren rund um den Globus scheint sich bisher niemand die Mühe gemacht zu haben, einen Blick ins Buch zu wagen. Geschweige denn, es gar zu lesen.

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