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Antiasiatischer Rassismus «Zu viele Kims und Lees»: Hat die Klassik ein Rassismusproblem?

In der europäischen Klassikszene gibt es viele Musizierende mit asiatischen Wurzeln. Willkommen sind sie nicht immer.

Im Musikdepartement der Zürcher Hochschule der Künste sind knapp zehn Prozent der Studierenden aus Asien. Ähnlich viele Asiatinnen und Asiaten studieren Musik an der Hochschule der Künste Bern. An der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin stammen sogar ein Drittel der Studierenden aus asiatischen Ländern. An Klassik-Wettbewerben stehen regelmässig Asiatinnen und Asiaten auf dem Siegertreppchen. Und einige der grössten Stars der Szene kommen aus Asien, zum Beispiel die chinesische Pianistin Yuja Wang.

Rassismus gegenüber Menschen mit asiatischem Background kann da eigentlich kein Problem sein – könnte man meinen.

Person in schwarzer Jacke spielt Klavier mit Deckel offen.
Legende: Die chinesische Pianistin Yuja Wang äussert sich zu den Dissonanzen in der Klassikszene, namentlich der Rassismus gegenüber asiatischen Musikerinnen und Musikern. IMAGO / Newscom World

Bomi Song, Geigerin aus Zürich mit koreanischen Eltern, sagt: «Wenn eine asiatische Person in Europa sagt, sie habe noch nie diskriminierende Erfahrungen gemacht, dann hatte sie entweder wahnsinniges Glück, oder will es nicht wahrhaben.» Das gilt im Alltag. Und in der Musikwelt.

Musik, eine universelle Sprache?

Mit antiasiatischem Rassismus in der europäischen Klassikszene kennt Maiko Kawabata sich aus. Die Musikwissenschaftlerin forscht dazu und hat mehrere Artikel und Bücher darüber geschrieben. Sie kommt aus Japan und lebt schon lange in Europa. Als Profi-Geigerin hat sie schon in verschiedenen Orchestern gespielt.

«Über die Jahre hinweg ist mir bewusst geworden, wie oft meine asiatischen Kollegen und ich Diskriminierung erleben.» Also hat sie sich diesem Thema als Forscherin angenommen und zahlreiche Musikerinnen und Musiker interviewt, die asiatische Wurzeln haben und in Europa im Orchester spielen.

Sobald anders aussehende Menschen diese Musik spielen, gehört sie plötzlich doch den Weissen.
Autor: Bomi Song Geigerin

Laut Kawabata ist antiasiatischer Rassismus in der westlichen Klassikszene tief verwurzelt. Die Idee, klassische Musik «gehöre» den Westeuropäern, habe lange das Denken dominiert – und sei entsprechend fest verankert: Wer woanders herkommt oder anders aussieht, könne die Musik von Beethoven und Co. nicht wirklich verstehen. Und erst recht nicht authentisch spielen.

Für Geigerin Bomi Song ist das ein Widerspruch: «Denn es heisst ja immer, Musik sei eine universelle Sprache. Aber sobald anders aussehende Menschen diese Musik spielen, gehört sie plötzlich doch den Weissen.»

Wie ein Roboter

Ihr Spiel sei ausdruckslos, zu technisch, wie ein Roboter. Das werde ihr immer wieder vorgeworfen, sagt Bomi Song. Kazumi Suzuki Krapf, eine japanische Geigerin, die seit fast 20 Jahren in Basel lebt, hat ähnliche Erfahrungen gemacht: «Perfekt gespielt, aber ohne Emotionen – das habe ich oft gehört.» Es ist ein weitverbreitetes Klischee, mit dem asiatisch gelesene Musikerinnen regelmässig konfrontiert sind.

Die Musikwissenschaftlerin Maiko Kawabata nennt es «Automaten-Klischee»: «Dahinter steckt die Vorstellung, wir seien emotional nicht genug verbunden mit der Musik», erklärt sie. Um dem Klischee bloss nicht zu entsprechen, würden gerade junge asiatische Musiker beim Spielen teilweise besonders grosse Gesten machen, hat Kawabata beobachtet. «Das zeigt, wie sehr sie dieses Stereotyp verinnerlicht haben. Das ist tragisch.»

Historische Gebäude Fassade mit Menschen davor.
Legende: An der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin stammen ein Drittel der Studierenden aus Asien. In den Orchestern sind Musizierende aus asiatischen Ländern dann aber nicht in diesem Verhältnis vertreten. Getty Images / Schöning / ullstein bild

Eine andere Erfahrung, die viele asiatisch aussehende Musikerinnen und Musiker teilen: verwechselt werden. «Kollegen haben mich mit dem falschen Namen angesprochen, obwohl wir schon ein Jahr lang zusammen im Orchester gespielt haben», erzählt Suzuki Krapf.

In einem Bereich, in dem der individuelle künstlerische Ausdruck viel zählt, sind Verwechslungen besonders schlimm.
Autor: Maiko Kawabata Geigerin und Musikwissenschaftlerin

«Europäische Namen sind für mich auch nicht einfach. Aber nach einem Jahr … das hat mich schon traurig gemacht.» Auch Maiko Kawabata ist in ihrer Musikerinnenkarriere ständig mit Kolleginnen verwechselt worden, «weil Asiatinnen vermeintlich alle gleich aussähen. In einem Bereich, in dem der individuelle künstlerische Ausdruck viel zählt, sind Verwechslungen besonders schlimm.»

Rassismus schwingt mit

Ein falscher Name hier, ein blöder Spruch dort, Klischees, die sich in den Köpfen einnisten – das sei vielleicht kein offener Rassismus, sagt Kawabata, «aber es sind Mikroaggressionen, in denen rassistische Vorstellungen mitschwingen.»

Meine koreanischen Kolleginnen und ich achten darauf, dass wir nicht zu laut in unserer Sprache sprechen.
Autor: Bomi Song Violinistin

Musikerinnen und Musiker mit asiatischen Wurzeln würden in der europäischen Klassikszene ständig solche Mikroaggressionen erleben. Ausserdem haben viele von ihnen das Gefühl, sich im Musikeralltag anpassen zu müssen: «Meine koreanischen Kolleginnen und ich achten darauf, dass wir nicht zu laut in unserer Sprache sprechen», sagt Bomi Song, die Zürcher Geigerin, die in München im Orchester der Bayerischen Staatsoper spielt. «Wir merken, dass das nicht gerne gesehen wird.» Anders als bei Musikern, die aus Italien oder Frankreich kommen, meint Song.

Orchester spielt auf Bühne mit Dirigent.
Legende: Sinfonieorchester Basel: Heute sind knapp zehn Prozent der Orchestermitglieder aus Asien. Das ist ein hoher Wert, im europäischen Vergleich. Benno Hunziker / Wikimedia Commons

Manchmal habe ihr koreanisches Aussehen auch Vorteile, erzählt Bomi Song mit einem sarkastischen Unterton: «Die Leute verbinden damit Zuverlässigkeit und die Fähigkeit, sich gut in Gruppen einfügen zu können.» Essenzielle Qualitäten für eine Orchestermusikerin. Wenn es allerdings um einen festen Job im Orchester geht, scheinen asiatisch gelesene Musiker schlechtere Karten zu haben.

Im Verhältnis zur Anzahl asiatischer Musikstudierender spielen in europäischen Orchestern recht wenige Menschen aus Asien. Knapp zehn Prozent der Orchestermitglieder sind es im Sinfonieorchester Basel, relativ viele im europäischen Vergleich. Im Tonhalle Orchester Zürich sind es vier Prozent und bei den Berliner Philharmonikern zwei Prozent. Die Wiener Philharmoniker hatten bis vor Kurzem kein einziges asiatisches Mitglied.

Schlechtere Karten

Die Musikwissenschaftlerin Maiko Kawabata hat festgestellt, dass Asiatinnen und Asiaten im Bewerbungsprozess benachteiligt seien. Ein asiatischer Name und ein asiatisch aussehendes Foto auf dem Lebenslauf führen laut Kawabata oft dazu, dass Bewerbungen aussortiert werden.

«Dann heisst es: Wir haben schon zu viele Kims und Lees im Orchester.» Die zweite Hürde, nach der Vorauswahl anhand der Bewerbungsunterlagen, ist das sogenannte Probespiel: ein Vorspiel vor den Orchestermitgliedern, das aus mehreren Runden besteht.

Damit es möglichst objektiv und fair zugeht, findet die erste Runde meist anonymisiert statt: Die Bewerberinnen und Bewerber spielen hinter einem Sichtschutz. Ein chinesisch-schweizerischer Geiger, der lieber anonym bleiben möchte, sagt: «Wenn es einen Sichtschutz gab, bin ich immer in die letzte Runde gekommen. Wenn es keinen gab, bin ich nach der ersten Runde rausgeflogen.» Dass asiatisch gelesene Musikerinnen und Musiker tendenziell Nachteile haben, sobald der Sichtschutz weg ist, hat auch die Forscherin Maiko Kawabata festgestellt.

Für Kulturwandel in der Klassikwelt

Deshalb fordert sie konsequente «Blind Auditions». Aber das könne nur der erste Schritt sein, sagt Kawabata. Aus ihrer Sicht hat die Klassikwelt tiefgreifendere Veränderungen nötig: Es müsse mehr Asiatinnen und Asiaten in Führungspositionen geben. Und mehr Werke von asiatischen Komponierenden auf den Konzertprogrammen. Der Grossteil der Stücke stammt von weissen Männern aus vergangenen Jahrhunderten.

«Es geht um Repräsentation», sagt Kawabata. Als Forscherin widmet sie sich zurzeit dem Werk der japanischen Komponistin Kikuko Kanai. Zusammen mit dem BBC Symphony Orchestra hat sie Kanais Musik auf die Bühne gebracht.

Eine weitere Stellschraube: Musiker, Orchestermanagerinnen und Dozierende an Musikhochschulen müssten besser sensibilisiert werden für das Thema Rassismus, fordert Kawabata. Ausserdem brauchen sie Stellen, wo Rassismusvorfälle gemeldet und an die sich die Betroffenen wenden können.

Ich wünsche uns mehr Mut, diese Themen anzusprechen.
Autor: Bomi Song Geigerin

Einige Schweizer Musikinstitutionen haben solche Anlaufstellen schon geschaffen: An der ZHdK und der Musikakademie Basel gibt es Diversitätsfachstellen. Auch an den Bühnen Bern gibt es eine Ansprechperson für Diversität. Das Tonhalle-Orchester hingegen hat keine vergleichbaren Strukturen.

Auch Bomi Song, die Zürcher Geigerin, hofft, dass sich etwas verändert in der Klassikszene: «Ich wünsche uns mehr Mut, diese Themen anzusprechen. Und ich wünsche allen, dass sie die Gelegenheit haben, Asien zu bereisen. Nur so kann man sich selbst ein Bild machen.»

Radio SRF 2 Kultur, Passage, 23.11.2025, 15:03 Uhr

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