Bill Drummond vermutete wohl, Stefan Schwietert komme vom Mond. Denn der Schweizer Filmemacher hatte noch nie etwas vom Duo KLF gehört, das in den frühen 1990er-Jahren weltweit Dancefloors erschütterte.
Mehr als ein Musiker
Doch dem schottischen Künstler gefiel Schwieterts Unwissenheit. Sie war es wohl auch, die zu dem gemeinsamen Film «Imagine Waking Up Tomorrow And All Music Has Disappeared» führte, der dokumentiert, wie der Erfinder des «Stadium House» die Musik auf Null reduzieren will.
Wer Drummond nur als Musiker betrachtet, verfehlt allerdings schlicht den Punkt.
Fremde Schuhe putzen
Drummonds Karriere nach KLF lässt sich zwar als berserkerhafter Rundumschlag sehen. Als Feldzug gegen die Industrie, die Musik zum belanglosen Produkt für den Massenkonsum gemacht hat.
Doch längst hat sich der Ex-Popstar als Konzept- und Performancekünstler erwiesen, der nur immer genau das macht, was ihn interessiert. Selbst wenn das Suppenkochen oder Schuhputzen als Dienstleistung für Wildfremde ist. In seiner Heimat taucht er regelmässig in den Listen der wichtigsten Künstler auf.
Patronen fürs Publikum
Der Mann, der seine Punkhaltung nie ganz ablegte, ist für definitive Handlungen berüchtigt. Etwa als er beschloss, der Welt das Musikerbe von KLF zu entziehen. Drummond und sein Partner Jimmy Cauty schossen 1992 bei den Brit Awards mit Platzpatronen in den voll besetzten Saal.
Dem schockierten Publikum erklärten sie, KLF habe per sofort die Musikszene verlassen. Keine leere Drohung: Drummond und Cauty drückten die grosse Delete-Taste und nahmen das KLF-Gesamtwerk vom Markt.
Noch definitiver – und eine Provokation, die bis heute nachhallt – war 1994 die Aktion mit der Verbrennung einer Million Pfund, dem Rest des Geldes, das Drummond und Cauty mit KLF erwirtschaftet hatten.
Das Chorprojekt
Auch in Stefan Schwieterts Film ist diese Aktion ein Thema; wie überhaupt Drummonds Weigerung, die eigene Vergangenheit gewinnbringend zu verwalten. Doch im Vordergrund steht Drummonds Projekt «The 17».
Es ist eine Reise durch Grossbritannien mit der Mission, einfache Menschen zum Singen anzustiften und mit den erbeuteten Chorklängen ein Gesamtkunstwerk zusammenzufügen.
«Spoiler Alert»
Wer den Film gesehen hat, weiss, den Schluss darf man nicht erzählen. Auch wenn dieses Konzept, Stimmen und Chöre zu sammeln, für Drummond-Kenner eigentlich nur zu einem Ende führen kann.
«Ambivalenz» heisst das Zauberwort, mit dem etlichen von Drummonds Rätseln auf die Spur zu kommen ist. Ein kleines Muster gibt er auf seiner Website .
Wer sucht, findet hier «10 Gründe warum». Die Hälfte davon sind Gründe, warum man sich Stefan Schwieterts Film niemals anschauen sollte. Die anderen 5 legen nahe, warum man sich den Film so schnell wie möglich anschauen sollte.
Die Gerüchteküche brodelt
Das Spiel mit dem eigenen Erbe geht weiter. 2017 muss man mit einem Comeback von Drummond und Jimmy Cauty rechnen. Was es sein könnte, lässt in England bereits die Gerüchteküche brodeln.
Die Vermutung, es werde sich um ein hintersinniges Spiel rund um das Durchkreuzen von Erwartungen handeln, ist angebracht. Wenigstens in dieser Beziehung ist der Mann kalkulierbar.