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Der «Boss» wird 70 Wie ich lernte, Bruce Springsteen zu lieben

Am Anfang war ein wenig Eifersucht. Warum SRF-Musikredaktor Eric Facon den Rock’n’Roller mittlerweile doch mag.

Als erstes war er ein Rivale. Mein Schwarm hatte mich zu sich nach Hause eingeladen, um mir ihre neuste musikalische Entdeckung zu zeigen. Auf der Plattenhülle ein grinsender Typ in Jeans und Lederjacke mit einer Gitarre. Er lehnte sich auf die Schulter eines afroamerikanischen Saxofonisten.

Eric Facon

Journalist

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Eric Facon ist freier Kulturjournalist und Experte für populäre Musik. Er arbeitete unter anderem bei SRF als Kulturredaktor und Moderator und schrieb für die «Neue Zürcher Zeitung» und andere Printmedien. Facon produziert den Podcast «Kulturstammtisch» oder den «Beobachter»-Podcast «Der Fall».

Die Nadel senkte sich auf die Schallplatte namens «Born to Run». Die Band legte mit Wucht los, eine heisere Stimme schwang sich drüber. Das klang kraftvoll, ja triumphal und gefiel mir überhaupt nicht.

Denn das Mädchen interessierte sich weitaus mehr für diesen Bruce Springsteen als für mich.

Der Rock’n’Roll-Vulkan aus New Jersey

Jahre vergingen. Unter Musikfans erzählte man sich wahre Wunderdinge über Springsteen und die schier endlosen Konzerte mit seiner E Street Band. Davon berichteten die englischsprachigen Rock-Postillen. Sein erstes Konzert in der Schweiz löste ein gigantisches Echo aus.

Neugierig geworden auf diesen Rock’n’Roll-Vulkan aus New Jersey, nahm ich mir sein nächstes Album «Nebraska» vor. Ein schwarz-weisses Bild auf der Hülle, ein düsteres Niemandsland hinter der Frontscheibe eines Autos. Passend dazu die Musik: keine feurige Band, keine Rock’n’Roll-Explosion – nur ein Mann mit einer Gitarre, einer Mundharmonika und einer Handvoll folkiger Songs.

Auf ein erstes, ungenaues Hören war das enttäuschend, bis mich zwei unterschiedliche Songs fesselten. «State Trooper» mit seinem repetitiven Riff, mit der fast gemurmelten Geschichte eines Mannes, der auf der Flucht ist. Wovor erfährt man nicht. Das Stück endet in einem erschreckenden Schrei.

«Used Cars» schien autobiografisch. Hier erzählt Springsteen mit filmischem Blick aus der Sicht eines minderjährigen Jungen, wie eine arme Familie einen Gebrauchtwagen kauft. Grossartige Songs.

1984 begann ich, als Musikjournalist zu arbeiten. Mein erster Auftrag war ein Konzert in München: Bruce Springsteen mit der E Street Band. Ich musste mir also den Springsteen’schen Kosmos erarbeiten.

Da gab es vieles zu entdecken: die wortreichen, jazzig-rockigen Frühwerke, die brillante Neon-Romantik von «Born to Run», die schwermütige Platte, auf deren Hülle er aussieht wie der Schauspieler Al Pacino («Darkness on the Edge of Town») und schliesslich das Doppelalbum «The River», auf dem man merkte, dass nicht jeder seiner Songs ein Meisterwerk ist.

Man muss ihn lieben

1984 erschien «Born in the USA». Spätestens jetzt war Springsteen kein Geheimtipp mehr. Millionen von Menschen sahen den menschlich geblieben Superstar und blieben ihm treu, bis heute.

Auch ich. Trotz der Auf und Abs seither. Einige seiner neuen Alben schienen weniger wichtig als seine aufwühlenden, langen Konzerten, bei denen er solo auftrat oder mit grosser Formation. Auf der Bühne, da erlebte man Springsteen, den Rock’n’Roll-Arbeiter. Aber er berührte immer wieder in einzelnen Songs mein Herz und meinen Verstand.

Als Lohn für die Treue gab es dieses Jahr das introspektive und gleichzeitig gross arrangierte Album «Western Stars», in dem es um zerplatzte Träume geht. Typisch Springsteen: Man muss ihn dafür lieben, wie er sich musikalisch an allen Facetten des Lebens abarbeitet.

Meine 10 liebsten Songs von Bruce Springsteen:

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  • Born to run: Ein Song, der sich anfühlt wie ein Ausbruch aus dem Alltag.
  • Thunder road: Eine delikat beschriebene Liebesgeschichte.
  • She’s the one (Live London Hammersmith Odeon 1975): Eine US-amerikanische Rockband erobert London mit einem Bo Diddley-Riff.
  • Candy’s room: Das Adrenalin eines unglücklich Verliebten.
  • State trooper: Ein Song, dessen Spannung auf den ausgesparten Details aufbaut. Wovor flieht der Mann, der hier beschrieben wird? Wohin will er?
  • Used cars: Ein Song wie ein Filmscript: Eine arme Familie kauft einen Gebrauchtwagen, der Sohn notiert genau, was passiert.
  • Shut out the light: Eine Country-Ballade über einen Vietnam-Heimkehrer.
  • My hometown: Vater und Sohn fahren durch ihren Heimatort – ein Song über die Verantwortung gegenüber den eigenen Wurzeln.
  • The Ghost of Tom Joad: Bruce Springsteen dokumentiert das Leben der Heimatlosen der USA, 60 Jahre nach der Veröffentlichung des Romans «Früchte des Zorns» von John Steinbeck, dessen Hauptfigur Tom Joad heisst.
  • Western Stars: Ein Film-Statist sitzt an der Bar und erzählt von seinem wichtigsten Moment. Gegen Ende eines Stücks wurde er von John Wayne erschossen.

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