SRF: Wie ist es dazu gekommen, dass Frauen im Iran nicht solo singen dürfen?
Urs Gösken: Das hängt mit Irrungen und Verwirrungen der Kulturpolitik im Iran zusammen. Seit 1979 – seit der islamischen Revolution – ist es Frauen untersagt zu singen. Vor einigen Jahren wurde der Frauenvolksgesang erlaubt. Am Solo-Sängerinnen-Verbot hat man hingegen festgehalten.
Seit 1979 ist es Frauen untersagt zu singen.
Im Film «No Land’s Song» vergleicht ein Gelehrter die Stimme der Frau mit einem Stück Käse, an dem man Gefallen findet und dann noch mehr haben möchte, was einem schade. Er sagt: «Ein rechtschaffender Mann, der sich ein Konzert anhört, solle keine Erregung spüren.» Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das hören?
Die Arten von Gesang, die im Iran praktiziert werden, sind alle darauf angelegt, Erregung hervorzurufen. Ob dies nun von Frauen gesungen wird oder nicht.
Gesang ist im Iran immer darauf angelegt, Erregung hervorzurufen.
Die klassische iranische Gesangs- und Musiktradition ist sehr stark mit mystisch-erotischer Liebesdichtung verbunden, wobei die Texte quer stehen zu dem, was praktiziert wird im Iran.
No Land's Song
Eine iranische Musikerin kämpft in der Doku von Ayat Najafi gegen die Willkür der Behörden. |
«Sternstunde Musik» zeigt den Film am 14. Mai – hier kann man ihn online sehen. |
Im Film sagt eine französische Sängerin, dass offenbar einmal mehr Frauen das Problem für das Regime seien. Wieso ist das so?
Das bettet sich ein in den weiteren Kontext der Frauenrechte im Iran. Frauenrechtlerinnen im Iran fragen sich, warum die islamische Republik von allen Rechtsbereichen ausgerechnet das Familien- und Erbrecht in ihrem Sinn islamisiert haben.
Denn die islamische Republik hat entgegen ihrem Namen andere Rechtsbereiche nicht islamisiert. Aber das ist ein dauernder Kritikpunkt.
Erleben Sie, dass Frauen auch in der Gesellschaft als Problem betrachtet werden?
Nicht von der Gesellschaft selber. Frauen haben seit der Revolution eine weit höhere Präsenz in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Sie sind auch sehr stark im Bildungssektor vertreten. Umso ungereimter scheint es, wenn sie im Kulturbereich stärkeren Einschränkungen ausgesetzt sind.
Auch das heutige Familien- und Erbrecht hätte höchstens in der Gesellschaft Sinn gemacht, in welcher der Iran in den 1950er- oder 1960er-Jahren gesteckt hatte. In der aktuellen iranischen Gesellschaft wird das immer mehr als unrealistisch empfunden, und zwar nicht nur von Frauen.
Was braucht es, damit sich Umstände für Frauen im Iran verbessern: Druck von unten oder Veränderung von oben?
Beides. Letztlich müssten sich aber die Gesetze ändern. Das ist auch möglich im Iran, weil die Gesetze, ebenfalls nach dem ideologischen Anspruch des islamischen Gesetzes, auf Interpretationen der islamischen Rechtsquelle beruhen.
Ein Rechtsfindungsprinzip in dieser Gesetzgebung ist die Anpassung an die gesellschaftlichen Verhältnisse. Kurz gesagt: Wenn die Gesetzgeber wollten, dann könnten sie die Umstände für die Frauen verbessern.
Kennen Sie ein Beispiel, wo ein Film im Iran politisch konkret etwas bewirkt hat?
Es gibt viele Filme im Iran und viele davon wurden auch im Ausland gezeigt, z.B. «A Separation», welcher sehr gesellschaftskritisch ist (siehe Textbox). Er bringt scharfsinnig die gesellschaftlichen Probleme der Iraner und Iranerinnen auf den Punkt. Es gibt sehr viele erlaubte Filme im Iran, worin sich die Gesellschaft wiederfindet. Und diese werden auch sehr stark rezipiert.
Das Gespräch führte Jana Füglistaler.