Wie hiess die erste Seifenoper? Welche Quelle man auch bemüht - fast jede nennt einen anderen Titel. Nach aktuellem Forschungsstand lief als erste «Daily soap» der Radiogeschichte «Clara, Lu and Em» am 16. Juni 1930 bei Chicagos Sender WGN auf Mittelwelle vom Stapel. Erfunden worden war die Geschichte dreier Kleinstadt-Familien in einem Doppelhaus von den Freundinnen Louise Starkey (Clara), Isobel Carothers (Lu) and Helen King (Em).
Ihre Studentensketche fanden soviel Anklang bei den Kommilitonen, dass sich die jungen Frauen beim Radio bewarben. Für die ersten Shows bekamen sie noch keine Bezahlung. Doch da meldete sich ein Sponsor: Die Seifen- und Zahnpastafabrik Colgate-Palmolive. 1932 wurde die Serie von der Abendschiene ins Tagesprogramm gehievt, wo sie werktags mit grossem Erfolg bis zum plötzlichen Tod von «Lu» bis 1934 lief.
Seife für alle
Wer sollte die Seifenopern hören? Die erste Zielgruppe war zweifelsohne die Hausfrau der 30er Jahre, welche tagsüber am Bügelbrett oder bei der Küchenarbeit das Radio laufen liess. Sie sollte die Produkte der Sponsoren kaufen: Waschmittel, Seifen, Reiniger, Fleckentferner. Je emotionaler und mitreissender die kleinen Hörspiele gestaltet waren, desto stärker verband sich die Story mit der Marke. Die tägliche Sendung erhöhte die Kundenbindung. Sehr bald hatten die Seifenopern ihren Ruf weg: ein Genre für Frauen, ein bisschen kitschig, ein bisschen stereotyp – eher etwas für schlichte Gemüter.
Die Seifenformel
Tatsächlich ist die Konstruktion einer Seifenoper alles andere als simpel. Eine Vielzahl von Charakteren, verschachtelte Erzählstränge und nicht zuletzt lang angelegte Entwicklungen erfordern vom Hörer ein hohes Mass an Differenzierungsvermögen.
Anne Hummert (1905-1996) erfand als Autorin und Produzentin Dutzende solcher Plots. Sie soll zwei Millionen Worte pro Jahr getippt haben. Zusammen mit ihrem Mann Frank zeichnete sie in jenen frühen «radio days» für über 100 Hörfunk-Melodramen verantwortlich, einige davon liefen fast zwei Jahrzehnte. Ohne Übertreibung könnte man sagen, dass die «radio factory» der Hummerts nachhaltig Erscheinungsbild und Erzählstruktur der «Soap» geprägt hat. Das gilt bis heute – für Radio und Fernsehen.
Was gehört zu einer richtigen Seifenoper?
Die Protagonisten stehen zumeist in engen verwandtschaftlichen Beziehungen, sind liiert, verlobt, verheiratet, verschwistert, verschwägert. Die Seifenoper-Familie ist eine Brutstätte für Intrigen und Verwicklungen (um es mit Schiller zu sagen: «Kabale und Liebe»). Konflikte entstehen aus der Konfrontation der Charaktere. Die parallelen Handlungsstränge, auch «Plotlines» genannt, werden niemals endgültig abgeschlossen, sondern laufen von Folge zu Folge weiter. Ein besonders spannender Punkt sorgt als sogenannter «Cliffhanger» für das offene Ende einer Folge.
Spass mit Seife
Es war keine Frage der Zeit, bis auch Komik in die Seifenopern Einzug hielt. Bereits im Herbst 1932 taten sich zwei Ölfirmen zusammen, um im Radio Benzin und Motoröl an den Mann zu bringen. Hierzu wurde eine Varieté-Serie namens «Five Star Theater» entwickelt, die von Montag bis Freitag fünf verschiedene Abendprogramme bot, in denen hinreichend die Vorzüge der Erdölprodukte angepriesen wurden.
Immer wieder montags war es an «Flywheel, Shyster & Flywheel», die Ätherwellen unsicher zu machen. Die Klienten dieser Anwaltskanzlei hatten ihre Fälle bereits verloren, wenn sie das Lokal betraten. Dafür bürgte Groucho Marx als wahnsinniger Advokat Waldorf T. Flywheel. «Die Marx Brothers werden aufpassen müssen, dass sie die jugendlichen Anhänger ihrer Filme nicht durch ihre Radioauftritte wieder verlieren», schrieb 1932 ein Kritiker des Magazins «Variety». Auch die Ölfirmen warteten vergebens auf eine Steigerung der Umsätze und so fand die Radiokarriere der bösen Brüder nach 26 Shows ein jähes Ende.
Seife vom Hügel
Der Stoff, aus dem «die Seife» ist, wird seit über 100 Jahren auch in Bayreuth produziert. Richard Wagner selbst hat bereits zu Lebzeiten für seifenopern-würdige Events gesorgt, ob mit seinem kurzen politischen Engagement, seiner Verschwendungssucht oder seinem Andienen an die jeweils Mächtigen. Ein gerade erschienenes Buch des Tonschöpfer-Urenkels Gottfried Wagner (siehe Buchhinweis) fasst den Fall zusammen.
Ernste Betrachtungen der Geschehnisse am Grünen Hügel gibt es genug. SRF 2 Kultur hat es sich mit «Die Maintöchter» zur Aufgabe gemacht, die komischen Seiten der Wagner-Dynastie auszuleuchten: Zwei Halbschwestern (Katharina & Eva) erlangen die Definitionsmacht am Grünen Hügel, wo alljährlich ein gewaltiges Musikspektakel nach den vergilbten Plänen des verblichenen sächsischen Gesamtkunstwerkers stattfindet. Eine neidische Cousine (Nike) sieht sich allerdings besser befähigt, die Geschicke des Festspielhauses zu lenken. Es entstehen prekäre Situationen, teils aus realen Ereignissen gespeist, teils völlig frei erfunden.
Ahnfrau Winifred und Gespenst Richard
Eigentlich geht es ja um sinkenden Kartenvorverkauf sowie um Subventionsbeträge in Millionenhöhe. Da kann schon mal ein Komma verrutschen, wenn man nicht auf der Hut ist. Und im Handumdrehen sind die Bluthunde der Society-Journaille zur Stelle. Was den Kampf der Halbschwestern zusätzlich erschwert: Ahnfrau Winifred geht um, die jeder in der Astralwelt in einer dunkelbraunen Möbiusschleife gefangen wähnte. Auch das Gespenst Richard macht den Maintöchtern zu schaffen. Und dann mischen sich noch Vater Wolfgang und sogar der Erzähler ins Geschehen. Zwischen Argentinien und Berlin sind also eine Menge «Cliffhanger» geboten.