Als meine Tochter klein war, habe ich ihr beim Zubettgehen Schlaflieder vorgesungen. Gut, eigentlich war es war immer bloss dasselbe Lied: «Ramseyers wei ga grase», dessen Strophen sich so oft wiederholen, dass ich hoffte, das Kind würde vor lauter Langeweile eilends in den Schlaf flüchten. Diese Hoffnung war fast immer vergebens.
Einige Jahre später wurde mein Sohn geboren. Als Besitzer eines Streaming-Abos war es nun nicht mehr meine Aufgabe, ihn in den Schlaf zu singen, an meine Stelle trat weit besser qualifiziertes Personal.
Denn bei Spotify fand ich hunderte von Alben und Playlists voll mit Coverversionen im Gutenacht-Sound, die Kindern beim Einschlafen helfen sollen.
Von den Beatles bis Nicki Minaj
«Blinding Lights» von The Weeknd mit Xylophon und sanften Glöckchen? Klar. The Cures «Just Like Heaven», bloss dass Harfenklänge die elektrischen Gitarren ersetzen? Klingt himmlisch.
Das Zielpublikum solcher Musik ist klar: Eltern, die sich und der Welt beweisen wollen, dass sie ihren guten Musikgeschmack noch nicht verloren haben.
Entsprechend reicht die Bandbreite der gecoverten Musikerinnen und Musiker von Klassikern wie den Beatles über Indie-Rocker wie die Strokes bis zu Hip-Hop-Stars wie Drake und Nicki Minaj.
Mit Coverversionen zum Einschlafen lässt sich gut Geld verdienen. Die erfolgreichste Reihe solcher «Lullaby Renditions» nennt sich Rockabye Baby! Alleine bei Spotify hören monatlich über 200'000 Hörerinnen und Hörer die Alben des Labels, von denen jedes Jahr vier, fünf neue erschienen und die es auch als CDs zu kaufen gibt.
Hinter Rockabye Baby! steht Lisa Roth, die Schwester des ehemaligen Van-Halen-Frontmanns David Lee Roth (und ja: natürlich gibt es auch eine «Lullaby Rendition» der Van-Halen-Songs). Seit 2006 hat sie 115 Alben mit Einschlafmusik herausgebracht. Doch erst seit es Streaming-Plattformen wie Spotify gibt, ist daraus ein grosses Geschäft geworden.
Wo das Publikum früher vielleicht eine oder zwei CDs gekauft und sie dem Nachwuchs jede Nacht zum Einschlafen vorgespielt hat, lassen die Eltern heute einfach eine Playlist mit Einschlaflieder laufen – so kommen pro Abend gleich Dutzende von Streams zusammen.
Alle zusammengenommen wurden die Songs von Rockabye Baby! bis heute eine Milliarde Mal gestreamt – am meisten Queens «Bohemian Rhaposody», der alleine auf sieben Millionen Streams kommt.
MIDI-Files statt Musiker im Studio
Wie viel Geld Rockabye Baby! damit bis heute verdient hat, ist nur schwer zu beziffern. Auch auf wiederholte Anfrage kam leider kein Kontakt zum Label zustande. Geht man aber davon aus, dass Spotify pro Stream zwischen 0,003 und 0,008 Cent zahlt, sind eine Milliarde Streams stolze drei Millionen Dollar wert.
Und Rockabye Baby! sind bei weitem nicht die einzigen, die dank Streaming-Plattformen allabendlich Kinderzimmer auf der ganzen Welt beschallen. Andere Labels, die sich auf Coverversionen mit Einschlafmusik spezialisiert haben, tragen Namen wie «Twinkle Twinkle Little Rock Star», «Sweet Little Band» oder «Lullaby Dreamers».
Und einige davon machen sich ihr Geschäft sehr einfach: Statt die Gutenacht-Lieder von Musikerinnen und Musikern arrangieren und einspielen zu lassen, laden sie sich einfach MIDI-Files bekannter Hits aus dem Internet. Am Computer müssen daruf nur noch bestimmte Instrumente durch andere, einschlaffreundlichere ersetzen und fertig ist das nächste Album voller Musik zum Einschlafen.
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