«Ich mache Musik für die Desi-Kids», sagt der 35-jährige Suhrid Manchanda alias Su Real. Er steht auf dem Dach einer Bar in der Nähe des Ausgehviertels Hauz Khas Village in Neu Delhi. Desi, dieses Wort ist ein Sammelbegriff für die verschiedenen Ethnien und Identitäten Südasiens.
Und Desi Bass? Genau genommen ist dies kein Genre, sondern ein Sammelbegriff für basslastige, schnelle und oft roh produzierte elektronische Clubmusik, die indische Klänge in sich aufnimmt.
Gerade indisch genug
Su Real beschreibt seinen Sound als eine Mischform: «Ich nehme die heissen Underground-Clubmusikstile aus dem Westen mit ihren schleppenden Bässen und hochgepitchten Vocals und füge im Refrain ein paar Elemente hinzu, die ausreichend indisch klingen, um gerade noch als indisch identifiziert werden zu können.»
Diese Elemente sind mal eine elektronisch verstärkte nordindische Flöte namens Shenai, mal Melodien, die Su Real von alten Sufi-Liedern gesamplet hat.
Desi Bass knüpft damit an Banghra aus den 90er-Jahren an: traditionelle Musik aus der Punjabi-Region, die sich mit britisch-elektronischer Tanzmusik vermischt.
Dieser Mix ist in der indischen und pakistanischen Diaspora in London entstanden. Von dort aus wurde sie nach Indien zurückgebracht und ist bis heute neben der Bollywoodmusik eines der wichtigsten indischen Popgenres.
Kulturelle Renaissance
Genau genommen ist auch Su Real ein Kind der Diaspora: Er ist zwar in Neu Delhi geboren, aber in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Malaysia und in Kanada aufgewachsen. Vor zehn Jahren kam er nach Delhi zurück – und war damit zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
«Damals herrschte ein toller Vibe in Neu Delhi», sagt er. «Wegen der Wirtschaftskrise kamen viele indische Künstlerinnen und Künstler, die im Ausland studiert und gelebt haben, zurück nach Indien. Ihre neuen Inputs haben zu einer Art kulturellen Renaissance geführt.»
Vertriebene Musikszene
Von dieser Renaissance hat auch die alternative Musikszene profitiert. Der Stadtteil Hauz Khas Village wurde zum Magneten für innovative, elektronische Undergroundmusik. Als Resident DJ des legendären Clubs «Livingroom» war Su Real mittendrin.
Doch Immobilienleute witterten bald das grosse Geschäft, eröffneten Club um Club, trieben die Konkurrenz und die Gentrifizierung voran. Die Mietpreise schossen in die Höhe. Auch die Polizei markierte ihr Revier, verlangte immer mehr Lizenzen – und Schmiergeld. Mit der Zeit verlor die Musikszene ihr Zentrum.
Jünger als 25? Eintritt verboten
Ein Club, in dem junge Menschen unbeschwert zu seiner Musik tanzen können und nicht durch teure Eintrittspreise ganze Bevölkerungsschichten ausschliesst, vermisst Su Real bis heute.
Daran sei auch die indische Politik schuld, die sich nicht um Jugendkultur kümmere: «Die meisten Clubs hier haben eine Altersbeschränkung von 25 Jahren – und es wird immer strenger kontrolliert.»
Hunger nach heimischer Musik
Anders ist es an Musikfestivals. Weil sie von grossen Unternehmen wie Diesel, Smirnoff oder Coca-Cola gesponsert werden, ist der Eintritt frei und die Altersbeschränkung aufgehoben. Dort haben allerdings oft nur internationale Acts, die den Massengeschmack treffen, eine Chance.
Doch Su Real ist sich sicher, dass es auch für die in Indien produzierte Clubmusik ein Publikum gibt: «Ich spüre hier einen Hunger nach hausgemachter, modernder Clubmusik.»
Schrille, schnelle Musikvideos
Diese Lust auf hausgemachte Musik, die ausserhalb der Bollywoodindustrie entsteht, stillt in Indien ein Medium, das in Europa längst ausgedient hat: das Musikfernsehen. Auf VH1, einem von über 20 Musikkanälen in Indien, erreichen Su Reals Videos über zehn Millionen Teenager täglich.
Kein Wunder, dass er besonders viel Aufwand in seine Musikvideos steckt und auch visuell ordentlich auf die Pauke haut: seine Clips sind schrill, provokativ, schnell geschnitten und von internationalen Profis wie dem dänischen Filmemacher Mads Knudsen produziert.
Aussenblick eines Insiders
Im dreiminütigen Clip «East West Badman Rudeboy Mash Up Ting» flackern Bauchtänzerinnen, Tempel und Hindu-Götter auf – eine Bilderwelt, die unweigerlich an Orientalismus erinnert, einem vereinfachenden westlichen Blick auf arabische und asiatische Kulturen.
Wie bewusst geht Su Real mit solchen Repräsentationen um? «Weil es in diesem Song um das Aufeinanderprallen von Orient und Okzident geht, spiele ich mit diesen Klischees», erklärt er. «Weil ich ein im Ausland aufgewachsener Inder bin, habe ich auch die Freiheit das zu tun. Ich gehe an diese Bilder mit dem Aussenblick eines Insiders heran.»
Der Schritt in den Mainstream
Zwar ist Su Real in der Undergroundmusikszene von Neu Delhi verwurzelt, mit seiner eigenen Form von Desi Bass mischt er aber schon lange in der oberen Liga der indischen Popmusik mit. Das zeigt derzeit die Show «The Remix» des Streaminganbieters Amazon Prime .
Zusammen mit der Bollywoodsängerin Rashmeet Kaur tritt Su Real hier gegen die versammelte Musikszene Indiens an und wird von einer Jury bewertet. In der Jury sitzt auch sein alter Weggefährte Udyan Sagar alias Nucleya.
Er war der erste, der in Indien auf die Desi-Bass-Bewegung aufgesprungen ist. Das Ziel der Show: alten Bollywoodklassikern einen neuen, zeitgemässen Anstrich verleihen. Für solche Fusionen bietet Desi Bass die richtigen Zutaten, sagt Su Real.
Indien treu bleiben
Nicht zuletzt will er durch die Show aber auch Vorbild sein für junge Musikerinnen und sie motivieren, Indien treu zu bleiben: «Lange haben indische Musiker davon geträumt, in den Westen zu gehen. Jetzt träumen sie davon, es hier zu schaffen. Darum wird Indiens Popmusik jeden Tag vielfältiger.»