Als der Bundesrat im März den Shutdown verordnete, hofften die Festivalveranstalter, der Spuk sei im Sommer wieder vorbei. Dann sah es monatelang nach einem Totalausfall des Festivalsommers aus.
Mitte August lässt sich bilanzieren: Corona hat die grossen Festivals besonders hart getroffen – auch in der Klassik. Doch wer Festivalluft schnuppern wollte, kam auch in diesem Sommer auf die Kosten. Digital sowieso, aber auch analog.
Verbiers digitale Festivalgeschichte
Zu den Grossen, die abgesagt wurden, zählt das «Verbier Festival». Der Walliser Veranstalter greift dafür in die digitale Schatzkiste.
Via Guest Account kann man sich noch bis Ende Oktober ins Virtual Verbier Festival einklinken und 18 Höhepunkte aus der glanzvollen Festivalgeschichte geniessen – vom Liedrezital bis zum Orchesterkonzert. Alles kostenlos.
Sich ans Live-Erlebnis heranpirschen
Für eine weitgehend digitale Ausgabe entschied sich auch das «Menuhin Festival» in Gstaad, ein anderer «Biggie».
Im Unterschied zu Verbier wird im Berner Oberland dennoch musiziert. Neun Kammermusikkonzerte sendet das Pop-Up Festival zwischen dem 4. und 21. August via Live-Stream.
Und mit zwei «musikalischen Spaziergängen» tastet sich das «Menuhin Festival» unter freiem Himmel behutsam ans Live-Erlebnis heran.
Je kleiner, desto besser
Von der Absage und «Digitalisierung» der Grossen profitieren die kleinen und mittelgrossen Festivals. Das Festival du Lied in Charmey im Greyerzerland fand in diesem Jahr sogar «dank» Corona statt.
Das Musikdorf Ernen sicherte sich Sendeplätze auf Espace 2 und SRF 2 Kultur, die sonst den grossen Festivals vorbehalten sind .
Und Jan Schultsz, Intendant des Engadin Festivals , lockte mit Grigory Sokolov und Martha Argerich gleich zwei Weltstars ins Bündnerland.
Weinrote Masken statt Bier danach
Atmosphärisch machte sich der Corona-Sommer aber auch an den kleinen Festivals bemerkbar. Das Davos Festival konnte zwar fast unverändert stattfinden.
Der Austausch zwischen den 90 «Young Artists in Concert» war durch das Schutzkonzept aber eingeschränkt. «Man soll die Kontakte zwischen den Bubbles eher meiden», sagt Matías Lanz, der mit seinem Ensemble Cardinal Complex zum ersten Mal in Davos spielte.
Kammermusik ist Trumpf
Davon abgesehen war das Davos Festival eines der corona-conformsten. «Wir sind nur zu rund 15 Prozent von Ticketeinnahmen abhängig», erklärt Geschäftsführerin Anne-Kathrin Topp.
«Zudem beherbergt das Kammermusikfestival auch in normalen Jahren kleinere Ensembles und findet an Orten mit maximal 150 Zuschauerplätzen statt», ergänzt Intendant Marco Amherd.
Sogar finanziell fällt die Davoser Bilanz im Corona-Sommer positiv aus: Obwohl nur 70 Prozent der Publikumskapazität ausgelastet werden durfte, verzeichnet das Festival einen leichten Publikumszuwachs.
Der Riese meldet sich zurück
So kehrt Corona die Marktlogik für einmal um: Die Kleinen wachsen, die Grossen schrumpfen. Das bekommt auch das Lucerne Festival zu spüren, der Gigant unter den Schweizer Klassikfestivals. Nachdem es bereits abgesagt war, findet es jetzt doch statt. Allerdings von vier Wochen auf zehn Tage verkürzt.
«Mit Maske habe ich tatsächlich viel weniger alte Bekannte erkannt als in anderen Jahren», schildert SRF-Musikredaktorin Jenny Berg ihren Eindruck vom Eröffnungskonzert.
Die Musik freut’s ja womöglich sogar, wenn sie einmal ganz im Mittelpunkt steht.