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Konzerte und Corona Klassische Klänge zwischen Masken und Desinfektionsmittel

Lange lag das klassische Musikleben darnieder. Nun spielen wieder Orchester für Publikum – das ist gewöhnungsbedürftig.

Ein ungewohnter Geruch ist wahrzunehmen. Bei einem Konzert Mitte Juni im Basler Münster. Das Sinfonieorchester Basel spielt die siebte Sinfonie von Anton Bruckner. Normalerweise für hundert Musikerinnen und Musiker. Jetzt in einer Fassung für Kammerensemble. Elf Personen.

Doch nicht nur das ist ungewöhnlich. Und dieser Duft nach Desinfektionsmitteln. Sondern auch die Mundschutzmasken, die viele der Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher tragen. Einige davon mit dem Logo des Orchesters, weiss auf dunkelblauem Grund.

Ungewöhnlich? Nein. Einerseits nicht, weil seit Corona-Masken vielerorts zu sehen sind. Im öffentlichen Verkehr sind sie Pflicht. Ungewohnt ist eher, dass hier überhaupt ein Konzert stattfindet. Denn über knapp drei Monate hinweg war das öffentliche Konzert reine Zukunftsmusik.

Endlich wieder Livemusik

Der Bund hat am 5. Juni Veranstaltungen mit bis zu 300 Personen und später bis zu 1000 gestattet. Zahlen, die sich allerdings kantonal laufend ändern. Doch nach diesem 5. Juni haben sich erste Orchester und Veranstalter klassischer Musik mit Konzertankündigungen gemeldet.

Im Theater Bern spielte man. Aber vor sprichwörtlich halbleerem Publikum. Jede zweite Sitzreihe gesperrt. Zwischen den Plätzen jeweils zwei Stühle Abstand.

Das fühlte sich an wie eine schlecht besuchte, öffentliche Generalprobe. Und doch waren viele froh, nach einer langen Zwangspause endlich mal wieder Livemusik zu hören. Im Berner Fall sogar eine Rarität: das Intermezzo für zwei Singstimmen und Streichquartett von Giovanni Battista Pergolesi «La serva padrona».

Auch das, also die Stückauswahl: coronabedingt. Eine Mini-Oper also. Denn Abstandsvorschriften gelten auch auf der Bühne. Oder für die Orchestermitglieder – wenn auch mit gemischten Gefühlen:

«Für mich wäre es zu heiss, eine ganze Bruckner-Sinfonie mit Maske zu spielen. Aber durch den Abstand vom Publikum und auch untereinander, habe ich mich sicher gefühlt», sagt Nitzan Bartana, Konzertmeisterin beim Sinfonieorchester Basel.

Das Sicherheitsgefühl – man muss den Angaben vertrauen, die der Bund punkto Sicherheitsabstand vorgibt. Zwei Meter, eineinhalb, noch näher? Wo endet die Gefährlichkeit des Virus? Wo fängt der Konzertgenuss, wie wir ihn kennen, an?

Contact-Tracing soll es richten

Widersprüchlich auch andere Gefühle. Wo sonst auf der Bühne gestorben wird, wo Violetta in Giuseppe Verdis «Traviata» an Schwindsucht zu schönster Musik dahinsiecht, da bekommt die Krankheitsfrage plötzlich eine andere Dimension.

Während eines Opern-Galaabends im Opernhaus Zürich etwa, wo solche Abstandsregeln schwieriger einzuhalten sind. Nicht jede zweite Stuhlreihe ist hier gesperrt. Contact-Tracing soll es richten. Also, dass der Veranstalter weiss, wer auf welchem Stuhl neben wem gesessen hat.

Das Publikum ist dankbar. «Ich habe mich sehr gefreut, dass es nach so langer Zeit endlich wieder möglich war, ein Konzert zu besuchen. Der herzliche Applaus hat gezeigt, dass die Dankbarkeit gross ist. Darüber, dass es wieder normal ist, in einem Saal gemeinsam Musik zu hören», erzählt Konzertbesucherin Tanja Ulaga.

Schwaden von Desinfektionsmittel

Gemeinsam Musik hören ist eben wichtig. Es liegt sogar in der DNA der Gemeinschaftskunst Musik. Auch wenn die Musik in den Schwaden der Desinfektionsmittel und hinter Masken wahrgenommen wird. Was schon etwas stört. Auch wenn die Vorteile des Live-Hörens klar überwiegen.

Was allerdings «normal» ist oder bleiben wird, welche dauerhaften Veränderungen der Konzertbetrieb schultern muss, das muss erst noch gesehen werden. Und gehört.

Kontext, Radio SRF 2 Kultur, 9.7.2020, 9.00 Uhr

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