Wenn Rockgitarristen wie Thurston Moore von Sonic Youth oder Nels Cline von Wilco mit Schraubenziehern oder kleinen Metallfedern die Saiten ihres Instruments bearbeiten, haben sie das möglicherweise von Keith Rowe abgeschaut.
Der englische Avantgarde-Gitarrist hat diese Art des «erweiterten» Gitarrenspiels vor 50 Jahren erfunden. Damals spielte Rowe in der Gruppe AMM, die neue Wege ging und im Zentrum der Londoner Underground-Szene stand.
Die Szene zuckte
Begonnen hatte alles Mitte der 1960er-Jahre, als die Beatles und die Rolling Stones in der Popmusik für Furore sorgten.
In «Swinging London» pulsierte eine vitale Szene, die mit einem anderen Lebensgefühl der Jugend einherging: Teenager kleideten sich anders, liessen sich die Haare wachsen und forderten die ältere Generation heraus.
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In Diskotheken wie dem UFO oder dem Marquee-Club dröhnten elektrische Sounds zu zuckenden Lightshows. Klänge und Farben explodierten. Manchmal sass Paul McCartney von den Beatles im Publikum. Kein Wunder, dass auf dem Cover des Beatles-Albums «Sgt. Pepper» 1967 Karlheinz Stockhausen abgebildet war. Neuartige Klänge lagen in der Luft.
Pollock statt prüde Noten
Diese Sounds machte AMM. Die Musiker kamen aus dem modernen Jazz, wollten aber in abenteuerlichere Klangregionen vorstossen. Bevor Gitarrist Keith Rowe zu AMM stiess, hatte er in der Jazzbigband von Mike Westbrook für Verwirrung gesorgt.
Er weigerte sich, weiterhin vom Notenblatt zu spielen und legte stattdessen die Abbildung eines abstrakten Gemäldes von Jackson Pollock auf den Notenständer.
Syd Barrett war der grösste Fan
Den Musikern von AMM schwebte eine Musik vor, die auf Improvisation basierte, sich aber nicht der Ausdrucksweise des Jazz bediente. Keith Rowes grösster Fan war Syd Barrett, Gitarrist von Pink Floyd. Nicht lange und dann fing auch er an, mit allem möglichen Werkzeug seiner E-Gitarre die wundersamsten Töne zu entlocken.
Peter Jenner, Manager von Pink Floyd, schlug der Londoner Filiale der amerikanischen Plattenfirma Elektra – bei der unter anderem die Folksängerin Judy Collins und später die Doors unter Vertrag standen – vor, ein Album mit AMM zu produzieren. Gesagt – getan! Als später die Firmenleitung in den USA die LP hörten, wurde der Londoner Filialleiter gefeuert. AMMs Musik wurde als «unverkäuflich» eingestuft.
Leitstern junger Musiker
Bis heute bestehen AMM-Konzerte meistens aus einer einzigen langen Klangmeditation. Oft werden über weite Strecken ruhige und leise Töne und Klänge übereinander geschichtet, die gelegentlich ins Geräuschhafte ausbrechen.
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Mit dieser Musikauffassung ist AMM inzwischen zum Leitstern einer wachsenden Szene junger Musiker geworden, die sich weder der akademischen Neuen Musik noch dem improvisierten Jazz zugehörig fühlen. Auf der Suche nach neuen Klängen folgen sie der Spur von AMM.