«Das Rheingold» ist der Krimi unter Richard Wagners Opern. Skrupellos operiert man mit Geld, das man nicht hat. Menschenleben werden als Pfand eingesetzt. Erpressung und Mord, Sex and Crime – und gerade auch in der «besseren Gesellschaft». In Frank Castorfs Regie wird aus diesem Krimi eine echte TV-Soap in schmuddeliger, dafür umso grellerer Variante. An die TV-Serien «Denver» oder «Dallas» zu denken, ist nicht nur erlaubt, sondern geradezu unausweichlich. Dazu benutzt Castorf ein Mittel, das aufs erste wie ein Trick erscheint, sich dann aber als Hauptelement seiner Regie entpuppt.
Die Rheintöchter als Prostituierte
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Die Drehbühne zeigt ein schäbiges, zweistöckiges Betonhaus, das als «Golden Motel» deklariert ist und vielleicht in Texas an der Route 66 liegt.
Auf der einen Seite mit Grill und Swimmingpool. Hier buhlt der (Zuhälter?) Alberich erfolglos um die Gunst der glamourös-schrillen Rheintöchter (Prostituierte?). Auf der andern Seite mit einer Tankstelle samt schmuddeliger Bar und (gesangslosem) Barkeeper; im ersten Stock ein Schlafzimmer, in dem Gott Wotan gerade einen flotten Dreier mit den Göttinnen Fricka und Freia absolviert zu haben scheint.
Soweit zu erwarten heutzutage: Nix reine Natur, nix nobles Walhalla, nix frühindustrielle Welt, alles bereits erbärmlichste Zivilisation, Prostitution, Drogen- und Goldschieberei.
Die Live-Videos lenken vom Gesang ab
Überraschend ist aber, dass die Handlung zusätzlich durchwegs von einer Live-Kamera gefilmt und auf eine Leinwand übertragen wird. Die Szene kann sich so oft in zwei oder drei Schauplätze aufspalten: Unten wird geprügelt, oben räkelt man sich mit einem Cüpli noch etwas im Bett. Wollen die Riesen Freia entführen, zeigt die Kamera, wie die Götter das hinter den Kulissen zu verhindern suchen. Gleichzeitig wischt der Barkeeper stoisch den Boden seiner Bar, die ihm soeben demoliert worden ist. So hat man zwar immer die gesamte Szene vor Augen, ist aber über die Bildschirme gleichzeitig hautnah an den Personen, an ihrer Mimik und Gestik dran.
Das ist raffiniert und bezwingend! Allerdings überfordert diese Aufspaltung auf die Dauer die Aufnahmefähigkeit. Man weiss nie so recht, wo hinsehen: aufs Ganze oder aufs Detail, auf diese oder jene Szene, oben oder unten? Oft kommt ob des vielen Zusehen das Zuhören schlicht zu kurz.
Dezenter Dirigent und gefeierter Gesang
Möglicherweise hat das auch mit dem Dirigenten zu tun. Kirill Petrenko ist Bayreuth-Newcomer. Er lässt klanglich eher etwas zurückhaltend musizieren, im Duktus zügig und schlank. Petrenko setzt zwar Akzente, wird aber auch dort nicht breiter oder massiver, wo er es durchaus werden dürfte. Das lässt Wagners plastische Orchestermusik etwas allzu bescheiden in den Hintergrund treten, hat aber auch den grossen Vorteil, dass die Sängerinnen und Sänger nie schreien müssen, sondern singen können.
Sie wurden, bei unterschiedlichen Leistungen, zu Recht vom Publikum gefeiert. Allen voran die Erda von Nadine Weissmann, die als eine Art Marilyn Monroe im weissen Pelzmantel auftrat. Den grössten Applaus erhielten allerdings Dirigent Kirill Petrenko und das (in Bayreuth ja unsichtbare) Orchester. Letzteres hatte jedoch auch seine unpräzisen Momente – kein Wunder, bei der drückenden Hitze im nicht-klimatisierten Festspielhaus.
Für Teil 2 und 3 braucht Castorf eine andere Strategie
Das aggressive Buh, das unmittelbar nach dem Schlussakkord durch den Raum schoss, galt wohl dem Regisseur. Es kam jedoch viel zu früh: Das Regieteam wird sich erst ganz am Schluss des «Rings» zeigen.
Bis dahin bleibt noch einiges zu tun. Vor allem aber hat der «Ring» im weiteren Verlauf (als nächstes folgt «Die Walküre») noch ganz andere Seiten als eine Sex-and-Crime-Soap, weniger Handlung und viel mehr Musik.