Am Pfingstsonntagmorgen werden die vier rotweissen Helikopter von Sion nach Leuk geflogen. Strahlendes Wetter, wenig Wind. Das sei wichtig, erklärt Pilot Nik. Er fliegt mich zum Aufführungsort, damit auch ich ein Gefühl bekomme fürs Helikopterfliegen. Unten ziehen briefmarkengrosse Rebhänge vorbei, Strassen wie graue Bändchen. Häuser sind dunkle Punkte. Ich bin einer der zwei Moderatoren in der Aufführung von Karlheinz Stockhausens «Helikopter-Streichquartett». Eine Rolle, die von Stockhausen für das knapp einstündige Stück vorgeschrieben ist.
Vier Helikopter und ein Streichquartett
Vier Helikopter braucht es für eine Aufführung der Komposition. Oder soll man von einem Gesamtkunstwerk sprechen? Von einer wahnwitzigen Idee gar? Er habe den Komponisten schon 1980 um ein Streichquartett gebeten, erzählt Irvine Arditti. Der Gründer des Arditti Quartetts ist wohl der erste Mensch, der in einem Helikopter Geige gespielt hat. Stockhausen aber wollte kein Streichquartett schreiben. Zu traditionell war die Form für den Musikrevolutionär. 1995 erst kam es zur Uraufführung des Quartetts.
Auslöser, das Stück doch zu schreiben, war für Stockhausen ein Traum: «Ich hörte und sah die vier Streicher in vier Helikoptern in der Luft fliegen und spielen. Gleichzeitig sah ich Menschen auf der Erde in einem audiovisuellen Saal sitzen. Vor ihnen waren vier Türme aus Fernsehschirmen und Lautsprechern aufgebaut.» Genauso sieht die Aufführung auch heute in Leuk aus.
Ein multimediales Spektakel
Die Musiker und ihre Instrumente sind verkabelt. Antennen schicken ihr Spiel und die Rotorgeräusche zur Erde, wo sie von der Klangregie zusammengesetzt werden. Denn auch das Knattern der Helikopterflügel ist Teil der Musik. Kameras senden Bilder der Musiker in den Saal.
Ein multimediales Spektakel beginnt: Die Motoren sind gestartet, die Musiker mit ihren Piloten heben ab in die Luft. Sie streichen rasend schnell über die Saiten. «Tremolo-Spiel» nennt sich das. Von italienisch «tremolare» für beben, zittern.
Ein bisschen Angst gehört dazu
Als ich Irvine Arditti frage, ob er bei seiner mittlerweile sechsten Aufführung immer noch Angst habe, antwortet der mit allen Wassern gewaschene Geiger, genau das wünsche er sich: einmal etwas Angst zu haben.
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Locker wirkt das Spiel der Ardittis und doch hochkonzentriert. Denn auch wenn sie Hunderte von Metern voneinander entfernt spielen, müssen sie eine gemeinsame Partitur realisieren. Im Saal unten vermengt sich ihr Spiel mit den Rotorgeräuschen zu einer bebenden Sinfonie. Das Flug-Kunst-Spektakel schliesst als «himmlische Musik» an die lange Tradition der «musica coelestis» an, die bereits in der Antike mit ihren Vorstellungen der Sphärenharmonie begonnen hatte.
Zuwenig Zeit, um den Flug zu geniessen
Nach dem Flug kommen die Musiker und Piloten in den Saal. Wir Moderatoren befragen sie. Es sei wunderbar gewesen, sagt Irvine Arditti. Das habe er Stockhausen damals schon bei der allerersten Aufführung gesagt. Worauf der menschlich nicht ganz einfache Komponist nie mehr ein Wort mit Arditti gewechselt habe. Ob es auch Spass gemacht habe, so weit im Himmel oben zu spielen, frage ich den Cellisten Lucas Fels. Das schon, bestätigt er. Aber er würde beim nächsten Mal lieber etwas Einfacheres spielen, um mehr Zeit zu haben, aus dem Fenster zu schauen.