Herr Wecker, sind Sie ein guter Mensch?
Konstantin Wecker (lacht): Ich bin ganz sicher kein besonders guter Mensch. Ich fühle mich auch nicht moralisch erhaben oder der Zweifel entbunden.
Sie haben 40 wilde Bühnenjahre hinter sich. Mit grossen Erfolgen und schweren Schiffbrüchen. Sie besingen immer noch die gleichen Werte wie damals. Wie haben Sie sich Ihre Utopien erhalten?
Ich glaube, das hat mit meinem Elternhaus zu tun. Meine Eltern waren keine Nazis. Mein Vater hat den Kriegsdienst verweigert in der Nazizeit. Wie durch ein Wunder hat er überlebt, weil ein Oberst ihn lieber für verrückt erklärt hat als ihn an die Wand zu stellen.
Und durch diese Haltung in unserer Familie war und ist es bis heute klar, dass ich dem Andenken meines Vaters treu bleiben möchte.
Sie waren zeitlebens aufmüpfig und ungehorsam – Sie haben ein Autoritätsproblem, stimmt's?
Gehorsam ist mir tief suspekt. Schon mit 13 habe ich angefangen, meine Anarchie zu leben. Und auch meinen Söhnen bin ich nie autoritär begegnet. Ich habe sie nicht erzogen. Ich habe schon ein Problem mit dem Wort. «Erziehen» zu was? Zum Gehorsam? Zur Gier? Ich versuche meinen Söhnen klar zu machen, dass ich kein perfektes Kind brauche, keinen perfekten Leistungsträger. Ich will auf keinen Fall erreichen, dass sie irgendwann Chef der Deutschen Bank werden. Im Gegenteil, ich würde es verhindern, wenn ich es könnte.
Sie haben ein Buch herausgegeben mit dem Untertitel «Warum Pazifismus für uns das Gebot der Stunde bleibt». Warum?
Ich glaube, dass es ein Überleben der Menschheit irgendwann nur noch geben kann, wenn die Menschheit gewaltfrei wird. Diese Gewaltorgien, die wir derzeit betreiben, nicht nur gegen andere Menschen im Krieg, sondern gegen die Natur. Das kann ja nicht mehr gut gehen. Das muss doch jeder klar denkende Mensch sehen.
Beiträge zum Thema
- «Mönch und Krieger» (Text zum Sonntag, 17.8.2014)
- Konstantin Wecker – Sage nein! (Lyrik am Mittag, 14.7.2014)
- «Wer Kinder hat, wird vom Schicksal erpressbar» (26.3.2014)
- Zen, Zorn und Zivilcourage (Perspektiven, 6.10.2013)
- Auftritt und Talk (Giacobbo/Müller, 18.11.2012)
- Zwischen Wut und Zärtlichkeit (Zwischenhalt, 7.1.2012)
Haben Sie einen Weg, eine Lösung?
Wir brauchen eine Revolution. Eine unblutige. Es muss eine Revolution der Vernunft, des Verstandes, der Geistigkeit, des Bewusstseins sein. Keine mehr, bei der ein einziger Führer denkt, er könne eine Ideologie der Welt überstülpen, die eine Welt gerechter macht. Das hat noch nie funktioniert. Wir müssen anfangen, uns so zu vernetzen, dass wir die ganzen Führer und Machtmenschen nicht mehr brauchen.
Ist das nicht utopisch, naiv gar?
Ich bin Dichter, ich darf naiv sein und ich darf Utopist sein. Ich muss sogar Utopist sein. Mein Vater hat mich zwei Tage vor seinem Tod gefragt: «Konstantin, wie kann man dieses Leben eigentlich überstehen, ohne naiv zu sein?» Das war so schön. So treffend. Mein Vater hat viele Sätze gesagt, die mich bis heute begleiten. Einmal zeigte er mir ein Bild, das er gemalt hat und sagte: «Weisst du Konstantin, ich muss dir ehrlich sagen, das, was hernach rauskommt, das Bild, das ist mir überhaupt nicht wichtig. Der Vorgang des Malens macht mir eine so grosse Freude.»
Geht es Ihnen auch so?
Das Schreiben und Komponieren ist wirklich ein unglaublich schöner Zustand. Weil man in diesem Moment verbunden ist mit dem Wesentlichen – gläubige Menschen würden sagen: mit Gott.
Wie schreiben und komponieren Sie?
Bei jedem Gedicht muss ich warten, bis es mir passiert. Ich kann das nicht steuern. Es ist, als ob es in mir fertiggeschrieben wird und dann will es plötzlich raus, fast wie bei einer Geburt.
Ich kann monatelang schweigen und dann, im letzten Sommer zum Beispiel, da habe ich in meinem Haus in der Toscana in fünf Tagen sechzehn Gedichte geschrieben und vertont. Ich musste kaum etwas verbessern.
Ich frage mich im Nachhinein wie das möglich war. Ich weiss es nicht so recht, es ist geheimnisvoll. Wenn meine Texte draussen sind, habe ich nicht mehr das Gefühl, dass ich sie geschrieben habe. Sie sind in dem Sinne klüger als ich.