«Dark» sind die Musiktage nur im Titel. Denn auch Ende Januar scheint die Sonne über Reykjavik. Ideal, ein Festival zu besuchen, welches das aktuelle Komponieren in Island repräsentativ abbildet. Die Gelegenheit, den Svið genannten, gekochten Schafskopf zu essen, wollte ich mir auch nicht entgehen lassen.
Anflug auf Reykjavik. Das Flugzeug fliegt weiter über das Ufer hinaus. Wir befinden uns über offenem Meer, wähnen uns schon fast auf dem Weg nach Grönland, als die Maschine einen Bogen nimmt, zurück nach Osten und trotz stürmischer Winde sicher auf dem Flughafen von Keflavik landet. Ab in den Bus und über 50 Kilometer verschneiter Autobahn rein nach Reykjavik. Am Abend ist das erste Konzert der «Dark Music Days».
Harfe im Wind
Der Weg vom Hotel zum Konzerthaus Harpa wäre nicht weit, doch wenn der Wind bläst, ist man gut beraten, nicht in Eile zu sein. Es haut einen beinahe um. Höhnisch singen die Gitter einer Baustelle in den Böen.
Harpa, das heisst Harfe, ist in Island ein Frauenname und bezeichnet den ersten Sommermonat des altisländischen Kalenders. Im August 2011 wurde das Konzerthaus mit seinen drei Sälen eröffnet und gilt seither als architektonisches Wahrzeichen Islands.
Debussy ist heimlich mit dabei
Die Harpa ist die Residenz des Isländischen Symphonieorchesters, das den ersten Abend der «Dark Music Days» bestreitet. Ich denke beim Eröffnungsstück «Gullsky/Goldhimmel» für Flöte, Harfe und Orchester von Askell Másson an Debussy – und bin damit nicht alleine.
Auch die Gruppe, mit der ich diese Island-Reise mache, stellt Bezüge her zu dem französischen Impressionisten. Másson, den ich anderntags dazu befrage, antwortet, er habe schon an so vielen Orten auf dieser Welt gelebt, und dabei sicher die eine oder andere Anregung aufgeschnappt.
Schafskopf für Touristen
In einem Reiseführer habe ich über die isländische Spezialität Svið gelesen. Einen halbierten, mit Feuer erst angebrannten und dann gekochten Schafskopf. Früher war es ein Arme-Leute-Essen, heute gilt Schafskopf als Touristenattraktion. Vergeblich suche ich auf der Speisekarte des Harpa-Restaurants die Delikatesse.
Am Computer wird Sprache Musik
Der hintere Teil der Harpa ist gegen das offene Meer gerichtet – durch die Glasfassade meint man es fast greifen zu können. Dazu locken die Klänge einer Installation von Þóranna Björnsdóttir. Sie vertont – im wörtlichen Sinne – poetische Begriffe.
Das isländische Wort hafið (Meer) etwa dient der Künstlerin in seiner Klanglichkeit als Basis für Sounds, die sie mittels Computerprogrammen aus dem Wort extrahiert. Sprache wird zu Musik. Sprache ist hier Musik.
Ruhelos in der Nacht
Am Abend Konzert des Ensembles Caput. Gunnar Karel Mássons Tubakonzert «As we walk we sleep» entpuppt sich als anspielungsreiches, lautmalerisches Werk. Als Künstler denke es oft nachts in ihm, sagt Másson. Er sei «restless», weswegen der erste Satz seines Konzertes mit seinen beklemmenden Atemgeräuschen auch so heisst.
Als der studierte Komponist und Philosoph mir seine Theorie der «Simplexity» erklären will, stürzt das Aufnahmegerät ab. Weniger schlimm, denn nachvollziehbar werden seine Erklärungen auch beim zweiten Mal nicht.
Der Komponist im Gemüseladen
Meinen Schafskopf habe ich immer noch nicht gefunden. Doch in einem Gemüseladen, wo man Tomaten aus Island kaufen kann, weist man mir den Weg. Der Verkäufer übrigens, als ich mich vorstelle, sagt, er sei auch Komponist.
Den Schafskopf finde ich etwas vor der Stadt am Omnibusbahnhof. In einer Lokalität mit Self-Service und surrenden Kühlschränken. Ich lasse meine Trophäe auf dem Teller von anderen Touristen fotografieren und verspeise schliesslich mit Genuss Zunge, Bäckchen und etwas von der angebrannten Haut.
Nun ja, es gibt bessere Teile vom Schaf. Als ich anderntags am Flughafen die Schafsköpfe in der Tiefkühltruhe entdecke, fällt es mir leicht, dem Kauf eines weiteren Schädels zu widerstehen.