Unter den Musikern von Lahore geht die Angst um. Einst war die pakistanische Grossstadt an der indischen Grenze ein geschäftiges Zentrum der Musik- und Filmindustrie mit einer lebendigen Nachtclubszene.
Heute verbreiten religiöse Fanatiker Angst und Schrecken. «Musikmachen ist Sünde», proklamieren die Taliban und machen Jagd auf Musiker. Auch die Filmstudios der Stadt stehen inzwischen leer.
Viele Musiker sind arbeitslos. Auftritte sind selten, weil sie bewaffnetes Sicherheitspersonal erfordern. Die Musiktradition gerät mehr und mehr in Vergessenheit.
Sitarklänge und Tabla-Rhythmen
Doch eine Gruppe beugt sich den Drohungen nicht: das Sachal Jazz Ensemble. Die Gruppe trifft sich heimlich im Sachal Studio, in einem der wenigen Tonstudios, das seinen Betrieb noch nicht eingestellt hat.
Dave Brubeck wird dort zum Rettungsseil. Eine orientalische Version seines Klassikers «Take Five» wird eingespielt: mit flirrenden Sitarklängen, schmachtenden Geigen und prasselnden Tabla-Rhythmen.
Das Stück avanciert zum Online-Hit mit über einer Million Aufrufen und erregt in den USA die Aufmerksamkeit des Jazzstars Wynton Marsalis, Leiter von «Jazz at Lincoln Centre» in New York.
Kollaboration in New York
Marsalis war von der Aufnahme so angetan, dass er den Leiter des pakistanischen Ensembles nach New York einlud, um eine Zusammenarbeit zwischen seiner Bigband und dem Ensemble zu vereinbaren. Man einigte sich auf eine Titelliste für ein gemeinsames Konzert, legte einen Termin fest und tauschte Notenblätter aus.
Knapp bemessen
Wieder daheim begannen die Musiker in Lahore mit intensiven Proben. Nicht alles verlief nach Plan, doch letztlich reiste das Sachal Jazz Ensemble in die USA zum Konzertauftritt. Vier Tage Probezeit waren knapp bemessen – Stress machte sich breit. Der Sitarspieler war den Anforderungen nicht gewachsen und musste durch einen New Yorker Musiker ersetzt werden.
Auch erwies sich die Bigband des Lincoln Centres als wenig flexibel. Starr hielten Marsalis und seine Musiker an ihrem durcharrangierten Jazz fest und waren unfähig, auf die pakistanischen Musiker richtig einzugehen. Die Improvisation hätte eine Brücke sein können. Dagegen wurde ein eher rigides Programm durchgezogen, bei dem die beiden Gruppen nie richtig zusammenfanden.
Der Begeisterung des Publikums tat das keinen Abbruch. Die pakistanischen Musiker wurden gefeiert und träumten davon, mit diesem Erfolg ihrer desolaten Situation daheim entfliehen zu können. Eine Art Buena Vista Lahore Club schwebte ihnen vor.
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Die generelle Bedrohung bleibt
Ein gewaltiges Echo in den pakistanischen Medien sorgte für die erste Konzertanfrage seit Jahren – ein Hoffnungsschimmer oder sogar mehr? Der Film «Song of Lahore» von Sharmeen Obaid-Chinoy und Andy Schocken lässt das offen. Sicherlich stärkte das Konzert in New York die Position der Musiker in Lahore und vergrösserte den Spielraum von Musik gegenüber religiöser Intoleranz, wenn auch die generelle Bedrohung bleibt.
Gegenwärtig arbeitet die Gruppe an einem Album mit prominenter Unterstützung westlicher Popstars wie Sean Lennon und tritt weltweit – von Tokyo bis London – bei grossen Jazzfestivals auf. Denn die Musiker wollen ja eigentlich nur eines: Musikmachen.