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Musikalische Vorlieben Wie entsteht eigentlich unser Musikgeschmack?

Unser Musikgeschmack wird früh geprägt – etwa durch unser Zuhause. Wir sind dem aber nicht ganz ausgeliefert. Denn auch die Ablehnung prägt unsere Präferenzen.

«Es gibt keine gute oder schlechte Musik, sondern nur gut oder schlecht gespielte», sagte einst Louis Armstrong. Wirklich? Über guten und schlechten Musikgeschmack lässt sich abendfüllend diskutieren und streiten – aber hat auch jemand recht?

Wirklich Ahnung von Musikgeschmäckern hat Melanie Wald-Fuhrmann. Die Musikwissenschaftlerin und Leiterin der Abteilung Musik am Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik forscht zu genau diesem Thema: Was gefällt uns unter welchen Bedingungen ästhetisch? Und warum? Und welche Funktionen haben «ästhetische Präferenzen» für Individuen und Gesellschaften?

Unser Geschmack sei angelernt und anerzogen, sagt Melanie Wald-Fuhrmann. «Bestimmend sind unsere Lernfähigkeiten, die persönliche Disposition und überhaupt die Möglichkeiten, Musik zu hören.» Ebenso entscheidend seien das familiäre Umfeld und später die ersten Freunde.

Neugierig bleiben

Wurde zu Hause Klassik gehört – oder doch lieber die Rolling Stones? Das prägt. In verschiedene Richtungen. Eine Freundin erzählte mir einmal, wie bei ihr zu Hause am Radio nur Ländlermusik gespielt wurde. Sie hasste es und kaufte sich, sobald sie ausgezogen war, ein Abonnement fürs Sinfoniekonzert. Ich kenne niemanden, der heute mehr und passionierter klassische Musik hört, als sie.

Zwei Mädchen auf einem Schwarz-weiss-Bild hören Schallplatten am Boden.
Legende: Ein Schlüsselerlebnis: Was zu Hause gehört wird, prägt unseren späteren Musikgeschmack. Getty Images

Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Schlüsselerlebnis. Oft gebe es davon sogar zwei im Leben, so Melanie Wald-Fuhrmann. Das erste, wie bei meiner Klassik-Freundin, erfolgt mit etwa 20 bis 25 Jahren. «Wir sind reif genug, uns ein Urteil zu bilden, kennen genügend Musik und tauchen in etwas ein und werden davon geprägt», sagt Wald-Fuhrmann. Manche ein Leben lang.

Andere haben später im Leben ein zweites Schlüsselerlebnis. Dabei, so die Forscherin, könne sich der musikalische Kompass noch einmal ganz neu einstellen. Neugier lohnt sich also.

Spätnachts die Routine brechen

Wir haben alle unsere Lieblingsmusik. Und solche, die wir nicht mögen. Ja, sogar verabscheuen. Mit beidem beschäftigt sich die ästhetische Empirie. Denn auch über die Ablehnung lässt sich herausfinden, welchen Musikgeschmack ein Mensch hat. Oder besser: welche Geschmäcker.

Vater zieht seinem Kind Kopfhörer an auf einem Sofa.
Legende: Mag er die Musik seines Vaters? Eines ist sicher: Eltern prägen unseren späteren Musikgeschmack. Imago Images / Westend61

Diese Vorlieben hängen wiederum von meiner Stimmung ab, von der Tageszeit, davon, ob ich allein oder mit anderen höre. Morgens eine Gustav-Mahler-Sinfonie? Eher nicht. Abends im Konzert schon eher, und dort gerne zusammen mit anderen. Ein sanftes «Aufwachstück» dagegen wäre da wohl weniger geeignet.

Musik, Geschmack, Gesellschaft und – ja – auch die Tageszeit hängen zusammen. Warum also nicht einmal spätnachts ein völlig neues Stück hören? In einen anderen Stil eintauchen. Konzertveranstalter wissen das und organisieren solche Konzerte zu ungewohnter Zeit an ungewohnten Orten. Auch da ist also Bewegung auszumachen.

Radio SRF 2 Kultur, Passage, 6.10.2023, 20:00 Uhr

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