Man solle sich Pilze und singende Hunde zum Musizieren suchen. Der Austausch und die Kommunikation erfolge dann via Telepathie. Die Anweisungen von Sängerin Joy Frempong und Komponist Marcel Blatti klingen wie aus einem Drehbuch für eine Sci-Fi-Oper. Tatsächlich aber sind sie an reale Menschen gerichtet – an solche, die in 100 Jahren leben werden.
Geburtstagsgeschenk auf Papier
Das Projekt «Zukunftsmusik» ist ein Geschenk zum letztjährigen 100. Geburtstag der Schweizer Musikgenossenschaft Suisa. Dafür haben 40 Schweizer Musikschaffende Stücke komponiert, die in eine Zeitkapsel eingelagert werden. Im Jahr 2123 sollen sie das erste Mal erklingen.
Mit dabei sind Kompositionen von zeitgenössischen Artists, die mit Elektronik und Pop arbeiten, aber auch Volksmusik und Geräusche haben es in die Zeitkapsel geschafft. Weil niemand weiss, welche Technik und Datenträger in 100 Jahren verwendet werden, wurden keine fertigen Klangerzeugnisse eingelagert, sondern Kompositionen auf Papier.
Formulierungs-Kämpfe
Allen Teilnehmenden standen exakt zwei DIN-A4-Seiten zur Verfügung, wobei der Platz sehr unterschiedlich genutzt wurde. Einige füllten ihre Seiten mit sehr kleiner Schrift, andere druckten Partituren.
Viele hätten Skizzen, Zeichnungen und Handlungsanweisungen angefertigt, erklärt Ethnologe, Kurator und Initiator des Projekts Johannes Rühl. «Die Seiten sind ein Abbild von Kämpfen, wie man versucht, Menschen in 100 Jahren begreifbar zu machen, was man gerne von ihnen möchte, dass sie es tun.»
Tatsächlich ist es nicht ohne, sich vorzustellen, wie Menschen im Jahr 2123 ein Musikstück umsetzten sollen. Denn: Werden die Menschen in der Zukunft überhaupt noch die gleichen Instrumente haben? Oder wird sich die Art des Musizierens grundlegend verändert haben?
Klingende Eierschneider
Erika Stucky legte ihrer Lied-Komposition ein Haar bei für den Fall, dass man sie als Hologramm aufleben lassen möchte. Ausserdem sollen bei der Aufführung Eierschneider im Publikum verteilt werden, auf denen die Leute dann mitzupfen können. Stellt sich bloss die Frage, ob die Menschen in 100 Jahren überhaupt noch Eier essen und wissen, was Eierschneider sind.
Simone Felber und Adrian Würsch möchten, dass ihre Liedskizze in 100 Jahren zuerst nur zwei Menschen zugänglich gemacht wird. Diese Leute sollen das Lied lernen und es an andere aus dem Gedächtnis weitergeben. Sobald genügend Leute das Lied kennen, sollen diese unabhängig voneinander Arrangements dafür schreiben.
Knirschende Gletscher-DNA
Ludwig Berger will Töne aus dem Innersten des Morteratschgletschers konservieren. Um diese Klänge langfristig für die Zukunft zu erhalten, würden diese in Form von DNA gespeichert. In 100 Jahren soll die Datei vor Ort ausgelesen und abgespielt werden. So hinterlasse das Projekt ein klangliches Denkmal des Klimawandels.
«Zukunftsmusik» sei nicht nur ein musikalisches Projekt, sondern auch ein zutiefst philosophisches, sagt Initiator Johannes Rühl. «Der Erfolg spielt keine Rolle, denn die Musikschaffenden, die teilnehmen, werden in 100 Jahren tot sein und nie erfahren, wie die Leute 2123 auf ihre Musikstücke reagieren.»
Trotzdem habe keine der 40 angefragten Personen abgelehnt. Man erwartet offenbar doch irgendeinen Effekt in oder aus der Zukunft.