Lockdown, Shutdown, Auftritts- und Veranstaltungsverbote oder Zuschauerzahl-Beschränkungen: Die Krise hat handfeste Auswirkungen auf Musikschaffende.
Was für existentielle Fragen stellen sich? Welche transformativen Kräfte setzt die Krise frei? Und welche Ideen und Visionen für die Zukunft eröffnen sich in der Welt der Musik? Fünf Perspektiven aus dem Dokumentarfilm «Zukunftsmusik».
Wer bin ich hinter der Bühne?
Sol Gabetta , weltweit gefeierte Cellistin und vor der Coronakrise mit bis zu 120 Konzerten pro Jahr unterwegs, hat die grösste Zeit der Pandemie in ihrer Wahlheimat Basel verbracht. «Lebe ich für die Musik, für das Business oder für einen Namen?», fragt sie sich in dieser Zeit immer wieder. «Wer bin ich eigentlich hinter dieser Bühne?».
Gabetta stellt fest, dass sie die Bühne und das Publikum sehr wohl braucht. Aber die Pause im Konzertkalender ist auch ein Glück. Sie übt und spielt Cello ohne Zeitdruck. Sie hat Raum, über ihre Karriere und Konzerttätigkeit nachzudenken und resümiert: «Wir hatten viel Quantität, aber nicht immer Qualität».
Für Gabetta heisst das konkret: künftig weniger Konzerte spielen, mehr Tiefgang und Kompromisslosigkeit in der Auswahl ihrer Projekte.
Die Krise als Stresstest
Der Pianist und Komponist Nik Bärtsch nutzt die konzertfreien Phasen während der Coronakrise, um sein Buch «Listening – Music Movement Mind» zu schreiben. Er will auch unter widrigen Umständen weiterarbeiten: «Die grösste Chance dieser Krise ist, dass sich alle in dieser Branche fragen müssen, was ihnen Musik als Beruf bedeutet. Als Berufung, für die sie sich in der Gesellschaft auch einsetzen».
Für Bärtsch ist klar: Musikschaffende sollten – ganz besonders in Krisenzeiten – Farbe bekennen, kreativ und auch (politisch) aktiv werden. Kultur habe nicht per se ein Recht darauf, subventioniert zu werden. Kulturschaffende müssten diese Legitimation erschaffen.
Konsum oder Kreativität?
Während etwa die Gastro- oder Tourismus-Branche mit viel Lobby-Power auf dem politischen Parkett politische Entscheidungsprozesse mitgestalteten, fehlte Musikschaffenden vor allem zu Beginn der Pandemie die einheitliche Interessen-Vertretung. Konzertsäle mussten trotz rigoroser Schutzkonzepte dicht machen, während Restaurants und Läden über weite Strecken offenblieben.
Der Pianist und Filmkomponist Ephrem Lüchinger findet das bezeichnend: «Shoppingcenter sind offen, Kinos und Konzertsäle sind zu. Das hat nicht viel mit Logik zu tun, sondern ist Ausdruck einer Gesellschaft. Die Frage lautet: Ist ihr Konsum wirklich wichtiger als Kreativität?»
Muss Musik für alle gratis sein?
Während der Coronakrise wird manifest: Musik vereint, spendet Trost, unterhält und gefällt. Nur: Wer verdient daran? Die meisten Musikschaffenden jedenfalls nicht.
An einem Spotify-Stream verdienen Songautorinnen und Songautoren zwischen 0.003 und 0.005 Franken, was bei 1000 Streams 3.50 Franken generiert. Auf YouTube und vergleichbaren Streaming-Plattformen lässt sich Musik bequem auch gratis hören.
«Muss meine Musik für alle gratis sein?», fragt darum Sängerin und Songautorin Evelinn Trouble . «Oder gibt es einen Zeitpunkt, wo ich auch mit gestreamter Musik genug Einkommen generieren kann, damit ich weiterhin Musik machen kann?»
Lebenslanges Lernen
Schlagzeuger Jojo Mayer ist jahrzehntelang als international gefragter Drummer um die Welt getourt. Während der Pandemie und der damit verbundenen Sesshaftigkeit beginnt er sich mit generativer Musik zu beschäftigen, um mit Elementen aus der künstlichen Intelligenz Musik zu entwickeln, die interaktiv, analog und digital zugleich ist.
Die Musik der Zukunft liegt für Mayer jenseits des Musikbusiness, wie wir es heute kennen. Künftig werde es keine langen Musikstar-Karrieren mehr geben, wie sie etwa Eric Clapton oder Carlos Santana hatten. «Künstler werden dauernd neue Dinge lernen müssen. Ich lerne jetzt AI, Videoschnitt, Photoshop, Illustrator.»
Für Jojo Mayer ist klar: Musikschaffende werden all diese Werkzeuge und Fähigkeiten benötigen, um ihre Geschichten zu erzählen. Weil sie nie wissen, was die Zukunft als Nächstes bringt.