Das Klavierspiel des weltbekannten türkischen Pianisten Fazil Say ist intensiv und immer für eine Überraschung gut. Ähnlich verhält es sich zuletzt mit Says Äusserungen auf X zur aktuellen Lage im Nahen Osten.
Wegen eines Tweets, der Israel für die Bombardierung eines Spitals in Gaza verantwortlich macht, sagte die Migros kurzerhand alle vier geplanten Klassikkonzerte des Starpianisten in der Schweiz ab
Obwohl sich die Meldung, die Fazil Say geteilt hatte, im Nachhinein als falsch herausstellte , lässt die Konzertabsage der Migros die Frage aufkommen, ob die Kulturbranche nicht mehr Debatte wagen sollte. Gerade angesichts der erschütternden Weltlage aktuell.
Braucht die Kultur mehr Debatte?
Die Absage von Says Konzerten steht in einer Reihe mit ähnlichen Vorfällen. Auch ein Symposium in Bern wurde zuletzt abgesagt. Eingeladen war die US-amerikanische Philosophin Judith Butler, die sich kürzlich in einem Essay in der London Review of Books zum Nahostkonflikt positioniert hatte.
Der Direktor des Basler Culturescape Festivals , Jurriaan Cooiman, arbeitet vor allem mit Künstlerinnen und Künstlern aus dem globalen Süden zusammen. Er kritisiert insbesondere eine mangelnde Bereitschaft für politische Debatten in der Kulturbranche: «Wir sollten die Debatte aushalten können. Vielleicht werden Konzerterlebnisse ja umso tiefer und ergreifender, wenn man versteht, dass Kultur nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern auch immer eine politische Dimension hat.»
Ambivalent in der Musik und im Denken
Fazil Say reagierte auf die Konzertabsagen unter anderem mit einer Stellungnahme auf Facebook: «Alle meine Aussagen waren im Geiste des Friedens. Ich war immer für das Gute, für Kompromisse und für die gemeinsame Suche nach einer schönen Zukunft».
Es war nicht das erste Mal, dass der in einem säkularen Umfeld in Ankara aufgewachsene Starpianist mit kritischen Äusserungen auf sich aufmerksam machte. In der Vergangenheit kritisierte er wiederholt die türkische AKP-Regierung und den Islam. Sein Verhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, dessen Tweet zur Bombardierung in Gaza er geteilt hatte, gilt als kompliziert. 2013 wurde Say gar für das Retweeten persischer Verse des Poeten Khayyam , die als islamkritisch gewertet wurden, zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Says künstlerische Identität ist vielseitig geprägt. Er studierte in Berlin und gibt in New York und Tokio Konzerte. Seine Inspiration zieht er aus türkischer Volksmusik. Auch politisch ist er nicht richtig zu greifen. Mit seiner umstrittenen Äusserung zum Nahostkonflikt schlägt ihm aus muslimischen Ländern viel Zuspruch entgegen, der Westen reagiert empört.
Mehr Moderation im Diskurs notwendig
Jurriaan Cooiman unterscheidet zwischen Kulturinstitutionen und Kunstschaffenden. «Ich glaube, dass Kunst und Künstler davon leben, dass sie Sachen sagen, die sie berührt haben», sagt der Festivalleiter: «Kulturinstitutionen sind dagegen darauf bedacht, in unserer Gesellschaft zu überleben. Sie sind abhängig von der Grosswetterlage in der Politik, von der Stimmung und von Finanzen.»
Er wünscht sich in der Schweizer Kulturszene mehr Raum für Diskussionen, die moderiert werden. Aber vor allem braucht es seiner Meinung nach mehr Mut zu sagen: «Wir stehen dazu und wir ziehen das durch.»