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Sängerin Tania Saleh Die Krisen im Libanon haben sie angetrieben – und ausgebrannt

Jahrelang hat die libanesische Musikerin Tania Saleh mit ihrer Kunst gegen die Probleme in ihrer Heimat angekämpft. Jetzt will sie nur noch weg.

«Eine Explosion mit solch einer Wucht habe ich noch nie erlebt», sagt die libanesische Sängerin Tania Saleh. «Innerhalb von fünf Minuten war ein grosser Teil von Beirut verwüstet.» Saleh hat die Katastrophe im Hafen der libanesischen Hauptstadt am 4. August hautnah mitbekommen.

Halb Beirut und natürlich der alte Hafen – ein wichtiger Teil der libanesischen Identität – sind nun für immer ausgelöscht. Saleh habe schon viel in ihrem Leben gesehen und durchgemacht, räumt sie ein. Aber das Ausmass dieser Katastrophe sei unvorstellbar.

Ein Leben umgeben von Gewalt

Saleh war sechs Jahre alt, als 1975 der libanesische Bürgerkrieg ausbrach. Es folgten immer wieder israelische Invasionen. Gewalt, Terror und Attentate – sie gehören zu Salehs Alltag.

«Wir sind von Krisengebieten umgeben: Im Süden von Israel, im Norden und Osten von Syrien. Das Meer ist der einzig friedvolle Nachbar», erzählte Saleh in einem Interview 2014, als ihr Album «A Few Images» erschien. In ihren Songs hat die Musikerin sich immer mit der angespannten politischen Situation in ihrer Heimat auseinandergesetzt.

Gefangen in alten Strukturen

Saleh geht zurück in der Geschichte und sucht nach Erklärungen: Im Jahr 1943 wurde der Libanon unabhängig. Die neue libanesische Regierung löste das französische Mandat auf. «Wir wollten ein neues Land aufbauen», sagt die Sängerin. «Aber wir haben es bis jetzt nicht geschafft. Wir sind heute immer noch in den alten Strukturen gefangen.»

An der Lebanese American University studierte Saleh Bildende Kunst. Neben ihrem Studium beschäftigte sie sich mit Musik und spielte in einigen Bands. Nach dem Bürgerkrieg ging sie nach Paris und schloss dort ihr Studium in «Arts Plastiques» ab. Seit 25 Jahren arbeitet Saleh als Werbedesignerin und Illustratorin in Beirut.

Identitätssuche als roter Faden

Die 51-jährige Künstlerin erzählt in ihren Songs Geschichten mit deutlichen Botschaften. Sie komponiert die Musik und schreibt fast alle Texte selbst. Die Suche nach Identität ist ein wiederkehrendes Thema, das sich wie ein roter Faden durch ihre gesamten Werke zieht.

Die nie enden wollenden Konflikte in der arabischen Welt haben Saleh stets umgetrieben. Sie habe ihre ganze Kraft und Energie in ihre Songs gesteckt, erklärt sie. Immer sei sie bemüht gewesen, nach einer Lösung zu suchen. «Immer wollte ich mein Land unterstützen», fasst sie zusammen.

Singen für die Frauen im Libanon

Immer hat sie sich in die libanesischen Frauen eingefühlt, die so viel durchmachen. «Es ist schwer, an diesem Ort zu leben, wo es nicht mal einen Park zum Spazieren gibt, wo Korruption und Willkür herrschen», sagt sie damals im Interview. Als wären diese sozialen Probleme nicht schon genug, kommen dann noch die politischen Konflikte hinzu.

Doch jetzt ist die verheerende Katastrophe am Hafen passiert – und das ist zu viel für Saleh. Sie könne nicht mehr. Jetzt ist sie in einer bedrohlichen Situation. Sie ist alleinerziehend und muss den Lebensunterhalt für sich und ihren 17-jährigen Sohn verdienen.

Die Explosion raubt die letzte Energie

Sie müsse unbedingt einen Ausweg finden. Sie habe keine Krankenversicherung mehr und durch die Corona-Pandemie keine Einkünfte als Musikerin. «Uns Kunstschaffende hat es dieses Mal wirklich hart getroffen», so Saleh.

Ihr Job in der Werbebranche sei aktuell nicht gefragt. Im Augenblick gebe es andere Prioritäten, etwa Essen für die eigenen Kinder zu bekommen. Die Explosion im Hafen hat Salehs Existenz in die Luft gejagt. Sie habe alles getan, um sich von den alten Machthabern zu befreien – doch ohne Erfolg.

Viele dieser Politiker, die während des Bürgerkrieges regiert hatten, sind weiterhin an der Macht geblieben. Sie wussten von dem explosiven Material im Hafen und haben nichts dagegen unternommen. Saleh hat genug von der Korruption und der Vetternwirtschaft im Libanon. Sie ist am Ende, ausgebrannt und gebrochen. Sie will nur noch eins: weg.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 19.08.2020, 17:08 Uhr

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