Robert Oboussier gehörte in den 1940er- und 50er-Jahren zum Zürcher Kultur-Establishment. Er war Musikkritiker, Suisa-Vizepräsident, Komponist. Und er war schwul. Hochkultur und Homosexualität: damals undenkbar. Seine sexuelle Orientierung hielt er zeitlebens versteckt. Erst nach seinem gewaltsamen Tod wurde sie publik.
«Robert Oboussier wurde zum Tabu. Er fiel in die unterste Gesellschaftsschicht», erklärt der Musikproduzent und Komponist Ramon Bischoff. Er leitet ein Projekt, das den Komponisten zum 125. Geburtstag wieder ins Rampenlicht holen will.
Das Verstecken und der Mord
Robert Oboussier lernte seinen eigenen Mörder, einen 18-jährigen Sexarbeiter, in einem Zürcher Park kennen. Solche Kontakte im Verborgenen waren damals für viele Homosexuelle die einzige Möglichkeit, körperliche Nähe zu erleben.
Oboussier nahm ihn mit nach Hause und verbrachte die Nacht mit ihm. Am nächsten Morgen, dem 9. Juni 1957, kam es wohl zu einem Streit, bei dem der Mörder ein Messer nach Oboussier warf.
Das Opfer, der Täter
Die Zürcher Presse druckte ehrerbietende Nachrufe auf den Komponisten. Kaum aber wurde Oboussiers Homosexualität öffentlich, folgte die Kehrtwende. Es bleibe «ein zwiespältiges, menschlich fragwürdiges Bild» zurück, schrieb die NZZ damals.
Zwar steht Homosexualität seit 1942 in der Schweiz nicht mehr unter Strafe, dennoch wurde Oboussier in der öffentlichen Wahrnehmung zum Täter: Er habe seinen eigenen Mörder verführt. Denn dieser galt damals, mit 18 Jahren, als minderjährig. Noch dazu sei er heterosexuell gewesen.
Der Vergessene, der Verdrängte
Stücke von Oboussier wurden aus bereits geplanten Konzertprogrammen gestrichen. Verlage veröffentlichten seine Partituren nicht mehr. Über Oboussier und seine Musik schwieg man fortan.
2022 stiess Ramon Bischoff auf Oboussier. Von dessen Schicksal berührt, begab er sich auf die Suche nach einem Vergessenen. Bischoff gräbt sich durch die Archive. Bald war er überrascht, welchen Schatz sich vor ihm ausbreitete: «Wieso ich der erste bin, der dieses Werk wieder ins Gespräch bringt, kann ich mir ehrlich gesagt nicht erklären.»
Besonders spannend finde er an Oboussiers Musik die Verbindung von modernem und traditionellem Denken: «Oboussiers musikalische Handschrift hat die Qualität, zu überraschen, und ist ein eindrückliches Zeitdokument.»
Ein Projekt gegen das Vergessen
Auf der SRG-Musikplattform neo.mx3 stiess er auf einige, wenige Aufnahmen. Auch dank dieser wurde für Bischoff klar: Diese Musik soll wieder erklingen. «Für mich, als Musikenthusiast, gibt es nichts Aufregenderes, als neue Musik zu hören.»
Es entstand ein vielschichtiges Projekt. Zuerst ist im Juli 2025, pünktlich zum 125. Geburtstag Oboussiers, ein Porträt-Album erschienen. Dieselbe Musik ist jetzt im Herbst an einer Konzertreihe zu erleben. Im November folgt eine Buchpublikation zu Oboussier, die die weit verstreuten Informationen zur Person bündelt.
Späte Rehabilitation
Und nicht zuletzt: Der Fall Oboussier kann ein heutiges Publikum sensibilisieren und zur öffentlichen Diskussion beitragen, denn die Diskriminierung von Homosexuellen ist noch nicht Geschichte.
Fast 75 Jahre nach seinem Tod hat das unfreiwillige Verstecken für Robert Oboussier ein Ende. Und dem totgeschwiegenen Komponisten wird seine Stimme zurückgegeben.