Für viele bleibt er schlicht der Grösste: Keith Jarrett, der Klavier-Riese, der aus dem Nichts einen ganzen Solo-Abend improvisieren konnte, ohne dass es eine Sekunde langweilig geworden wäre. Der brillante Pianist, der Mitte der 1980er-Jahre im Trio-Format die Jazzwelt aufmischte, und das ausgerechnet mit schon hundertfach gehörten «Jazz Standards».
Tatsächlich hat sich Keith Jarrett einen Platz im Jazz-Olymp verdient. Schon als er als junger Sideman am Flügel sass, für den Schlagzeuger Art Blakey und kurz darauf für den schon damals sehr erfolgreichen Saxophonisten Charles Lloyd, war allen klar: Hier ist eine originelle Stimme, die sehr viel mehr kann als «nur» meisterlich zu begleiten. Schon damals waren seine Soli sprühende Statements und ein Versprechen an die Zukunft.
Gefeierter Solopianist
Und so hielt es Jarrett auch nicht lange bei anderen Bandleadern – auch nicht bei den Allergrössten. Für den Trompeten-Star Miles Davis liess er sich noch eine kurze Zeit begeistern, für ihn spielte er sogar elektronische Instrumente, von denen er später leicht betupft sagte: «Das waren Spielsachen. Er konnte dazu noch sein eigenes Instrument spielen. Ich nicht.»
Sobald Jarrett seine Sporen dann aber abverdient hatte, begann die grosse Solo-Show. Zuerst in Quartetten, in einer US-amerikanischen Ausgabe mit dem Saxophonisten Dewey Redman, und in einer europäischen mit dem Saxophonisten Jan Garbarek. Für beide Bands komponierte Keith Jarrett sensationelle Musik. Und bald spielte er dann – abgesehen von ein paar Ausflügen in die Klassik – vor allem im Trio und als gefeierter Solopianist.
Tourpläne wie ein Rockstar
Als Visionär und früher Wegbegleiter mit dabei war Manfred Eicher, der mit seinem Label ECM Keith Jarrett gross machte – und umgekehrt. In den Anfangszeiten waren beide noch stundenlang im Auto unterwegs und fuhren von Konzert zu Konzert. Bald aber wurde Keith Jarrett so berühmt, dass sein Tourplan-Luxus den grössten Rockstars in nichts nachstand.
Aber egal wie komfortabel die Hotels und wie exquisit die Konzertflügel waren, die für Jarrett bereitgestellt wurden: Die absolute Hingabe an die Musik forderte den Meisterpianisten so stark, dass sein Körper bald Alarm schlug. Ständige Rückenprobleme und schliesslich ein chronisches Erschöpfungssyndrom plagten Keith Jarrett und machten ihn zu einem Künstler, der Veranstalter erbleichen liess und sich mit seinem Publikum anlegte, wenn er sich gestört fühlte.
Unnahbar, aber genial
Bemerkenswert ist die Aussage von Jarrett, er sei künstlerisch dann am besten, wenn es ihm am schlechtesten gehe. Gemessen an seinen vielen Sternstunden – das Köln Concert (1975) ist die berühmteste – war sein Leben neben der Bühne wenig lustig.
Der Reichtum an Musik aber, die Dreiklänge, die er in den Jazz zurückbrachte, das Hymnische, die Improvisationen, die alles abdecken von Blues über Bebop und polyphoner Linienführung à la Bach bis zum Gospel – das alles macht Keith Jarrett zu einer singulären Figur in der Musik: Unnahbar, aber genial.
Seinen 80. Geburtstag dürfte der Maestro zurückgezogen feiern: Nach seinen beiden Schlaganfällen von 2018, die ihn schwer zeichneten und halbseitig lähmten, ist es ruhig geworden um ihn. Immerhin: In einer Handvoll Interviews erzählte er 2023 nochmals aus seinem Leben und zeigte sich so freundlich wie nie zuvor.