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Ein Dirigent dirigiert.
Legende: Fabio Luisi an der Metropolitan Opera in New York. Keystone

Stille in der Musik «Musik und Stille gehören auf jeden Fall zusammen»

Es tönt wie ein Paradox: Musik und Stille. Doch gerade in der Musik wird Stille zuweilen am eindrucksvollsten hörbar. Davon ist auch Zürichs Generalmusikdirektor Fabio Luisi überzeugt.

Herr Luisi, das Orchester ist weg, die Stühle leer, der letzte Klang verklungen. Mögen Sie diese Momente der Stille?

Fabio Luisi: Diese Momente sind für Musiker ganz besonders wichtig, weil wir ja in einer Welt von Klängen, und klanglichen Impulsen leben. Aber das ist nicht nur in der Musik so. Die Welt ist voll von Geräuschen, von Klängen, welcher Art auch immer.

Zur Person

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Legende: Keystone

Fabio Luisi ist ein italienischer Dirigent und seit 2012 Generalmusikdirektor der Zürcher Oper. Er war u.a. Chefdirigent des Orchestre de la Suisse Romande, der Wiener Symphoniker, der Metropolitan Opera und Generalmusikdirektor der Oper Dresden. Er gilt als einer der führenden Interpreten italienischer Opern und des spätromantischen Repertoires.

Kann es Musik geben ohne Stille?

Musik und Stille gehören auf jeden Fall zusammen. Zum einen, weil die Musik immer aus der Stille geboren wird. Zum anderen gibt es auch diese Momente, wo mitten im Stück der musikalische Gedanke zwar nicht aufhört, aber das Klangliche aufhört.

Die Generalpause, in der alle Instrumente und Stimmen schweigen.

Ja. Es gibt eine ganz wunderbare Generalpause, die ist keine richtige Generalpause, weil im Hintergrund doch noch ein wenig Klang ist. Aber man nimmt das als Stillhalten wahr. Das ist im Requiem von Giuseppe Verdi am Ende des ersten Teils.

Nach dem grossen Dies Irae, in dem der Seele des Verstorbenen und mit ihm allen menschlichen Seelen das Jüngste Gericht angekündigt wird. Klanggewaltig, opernhaft und: laut.

Und dann kommt diese ganz magische Stelle, wo es nur ein sehr leises Tremolo in den Streichern gibt, wo ansonsten alles aufgehört hat. Dann das grosse Amen von Chor und Orchester. Das ist der finale Punkt des ersten Teils.

In der Oper wird es ja meist still, bevor etwas Furchtbares passiert. Oder nachdem es bereits passiert ist. Gibt es auch schöne Stille-Momente?

Ein Lieblingsmoment von mir ist das Vorspiel zu Richard Wagners Oper Tristan und Isolde. Das wird aus der Stille geboren, geht zur Stille zurück und dann wird es noch einmal geboren. Ohne die Stille davor und dazwischen wäre es unmöglich, die tiefe Bedeutung dieser Musik zu verstehen.

Wieder ein sch ö nes Symbol für das Leben an sich, oder?

Das Leben ist alles. Auch Stille. Wenn die Stille, die das Kind im Bauch der Mutter wahrnimmt, gebrochen wird von den Klängen von ausserhalb, dann ist das ja schon eine Ankündigung des Lebens, das dieses Kind haben wird.

Interessant ist doch, dass der moderne Lärm geplagte Mensch immer wieder die Stille sucht, um zur Ruhe zu kommen. Aber, wenn es wirklich einmal ganz still ist, dann sprechen wir von Totenstille und von gespenstischer Stille.

Die totale Absenz von Klängen, also die totale Schallruhe existiert nicht. Wir können das künstlich erzeugen. Aber es ist kein natürlicher Zustand.

Die totale Absenz von Klängen, also die totale Schallruhe existiert nicht.

Auch nicht im Konzertsaal. Hätten Sie da gern ab und an mehr Stille im Publikum?

Natürlich ist es lästig, weil die Bonbons ja wirklich meist dort ausgepackt werden, wo gerade Stille sein sollte. Aber, mein Gott, wir sind alle Menschen.

Sendungen zu Stille

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Facebook, Linkedin, Twitter – die heutige Welt braucht Selbstvermarktung und Smalltalk. «Kontext» fragt: Sind introvertierte Menschen endgültig auf verlorenem Posten?

Im Alltag reden wir uns um Kopf um Kragen: Wir fallen einander ins Wort, finden Schweigepausen unangenehm. «Input» fragt: Wie fühlt es sich an, einfach mal den Mund zu halten?

Brauchen Sie Stille, bevor Sie auf die Bühne oder ans Pult im Graben gehen?

Nein, eigentlich nicht. Ich kann das bei mir konstruieren. Ich schotte mich nicht ab. Wenn ich auf die Bühne gehe, konzentriere ich mich auf dieses Kunstwerk. Das kann ich. Ich kann sogar switchen zwischen den beiden Existenzebenen Alltag und Kunst.

Man könnte jetzt ein Klischee bemühen und mutmassen, dass Sie als Italiener von Natur aus lärmresistenter sind.

Nein, das stimmt nicht, denn ich komme aus Genua. Da laufen die Uhren ein bisschen anders. Die Genueser sind nicht so laut wie andere Leute in Italien.

Sind sie ein stiller Mensch?

Was soll das sein?

Ein Mensch, der nicht laut ist.

Nein ich bin nicht laut. Man braucht nicht laut zu sein, um das zu sagen was man sagen will.

John Cage hat mal ein Stück komponiert mit dem Titel 4’33, das 4 Minuten und 33 Sekunden dauert, in drei Sätze gegliedert ist, und nur aus Pausen besteht. Ein Stück für Klavier solo. Sie haben mal eine Aufführung erlebt. Haben Sie da wirklich nichts gehört?

Ich habe mich konzentriert auf das, was war. Und es war eben dieses Silentium, das war nichts. Da ist ein Pianist aufgetreten, aber er hat keine Note gespielt. Überhaupt nichts. Er ist einfach nur dagesessen und hat diese 4 Minuten 33 Sekunden gewartet. Und das Publikum mit ihm. Und das ist interessant: Man hört das, was rundherum passiert. Das ist die richtige Musikstille.

Das Gespräch führte Marion Ammicht.

Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 27. Dezember, 22.25 Uhr

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