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Woodstock – Drei Tage, die eine Generation prägten
Aus Sternstunde Musik vom 18.08.2019.
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50 Jahre Jahrhundertfestival Woodstock lässt sich nicht wiederholen

Aus drei Tagen Frieden und Musik wurde im August 1969 ein legendäres Schlamassel. Schriftsteller T.C. Boyle, Sängerin Shirley Grimes und Musiker Franz Treichler über ihre Beziehung zu Woodstock.

Eigentlich lief so ziemlich nichts nach Plan, an diesen drei Tagen.

«Woodstock» fand nicht in Woodstock, New York statt, sondern in Bethel, rund 75 Kilometer entfernt. Am vorgesehenen Austragungsort hatte man kalte Füsse bekommen, denn es war mit viel Publikum zu rechnen und das wollte man nicht in dem beschaulichen Ort. Der Name «Woodstock» aber stand bereits auf allem Gedruckten.

Woodstock – ein Magnet

Die vier jungen Leute, die das Festival organisierten, hatten hoch gepokert: Alles, was damals Rang und Namen hatte, sollte auftreten.

50 Jahre Woodstock bei SRF

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Legende: Imago / United Archives

Woodstock auf SRF 1 – am Wochenende vom 17. und 18.8.:

Woodstock auf Radio SRF 2 Kultur:

Es kam weit mehr Publikum als erwartet, anstatt 50'000 eine geschätzte halbe Million Menschen. Unter ihnen ein 20-Jähriger aus New York – ein Rockmusik-Fan, der davon träumte, einmal Schriftsteller zu werden: T.C. Boyle.

Er erinnert sich an ein musikalisches Ereignis, das alle Strapazen vergessen liess.

Audio
«Wie hätte ich das verpassen können?!» – Zeitzeuge T.C. Boyle erinnert sich an Woodstock
aus Kontext vom 14.08.2019. Bild: Imago / Leemage
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 57 Sekunden.

T.C. Boyle: «Ich war der hippste aller Hippies»

«Ich habe meine Eintrittskarten zum Konzert immer noch. Die waren für damalige Verhältnisse teuer, 7 Dollar und 50 Cent. Aber viele meiner Lieblingsbands sollten auftreten, also wollte ich mir das Ereignis auf keinen Fall entgehen lassen.

Ein Mann mit dunkler Sonnenbrille und eine Frau mit blonden Haaren auf einem Schwarzweiss-Bild.
Legende: «Woodstock wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.» T.C. Boyle mit seiner Frau, 1973. T.C. Boyle / Alan Arkawy

Wir waren zu viert, meine Freundin, die heute meine Frau ist und noch zwei Freunde. Den Freitagabend haben wir ausgelassen. Ignorant wie wir waren, dachten wir, da spielen eh nur die langweiligen Folk-Sänger. Also haben wir an jenem Abend in New York, wo ich wohnte, versucht, Drogen aufzutreiben.

Gegen drei Uhr morgens sind wir losgefahren. Es schien, als seien alle Strassen nach Bethel verstopft. Aber wir haben eine offene, zweispurige Landstrasse gefunden.

Ab einem bestimmten Moment war auch diese voll, denn die ‹Folkies› verliessen das Terrain auf beiden Spuren. Wir haben also das Auto an einem Ort im Wald stehen lassen, wo wir unsere Zelte aufschlagen wollten, und sind zu Fuss weiter.

Wir waren Hippies, zu allem bereit. Das Auto haben wir dann am Montagmorgen unversehrt wiedergefunden.

Die erste Band, die ich mitgekriegt habe, war Santana, die waren überwältigend. Bis Montagmorgen ging es weiter: Janis Joplin, The Who, Joe Cocker, Jimi Hendrix, Ten Years After – es war grossartig.

Ein Paar schläft auf der Kühlerhaube, im Hintergrund eine mit Autos und Menschen verstopfte Strasse
Legende: Alle Welt wollte zum Woodstock. Kein Wunder, kam man bald nicht mehr voran. Getty Images / Bettmann

Natürlich hab' ich auch die gegenkulturelle Stimmung mitgekriegt. Wir waren eine Masse von Gleichgesinnten, wir waren gegen den Krieg in Vietnam, gegen die Welt der Eltern. Auch ich, schliesslich war ich der hippste aller Hippies!

Dennoch ging es mir im Grunde nur um die Musik. Das war die Kultur des Tages, das war unsere Generation. Ich höre noch heute den ganzen Tag Musik, selbst bei der Arbeit.»

Woodstock – ein Who-is-Who

Es war ein Fest der Musik. Die Grossen der Szene, Bob Dylan, die Beatles und die Rolling Stones fehlten zwar, aber Woodstock präsentierte ein breites Panorama dessen, was die Rock- und Popmusik damals zu bieten hatte.

Manches war Produkt des Zufalls: Richie Havens’ «Freedom», eine der späteren Hymnen des Festivals, war improvisiert, um Zeit zu füllen. Der zufällig anwesende John Sebastian von The Lovin’ Spoonful wurde mit einer akustischen Gitarre vor das Publikum geschoben.

Das Spektrum reichte vom Blues-Rock von Canned Heat oder Ten Years After über den Folk-Rock von Crosby, Stills & Nash bis zum explosiven Rockgewitter von The Who.

Zwei Männer mit Gitarren auf einer Bühne.
Legende: Aus manchem wurde später ein Star: Etwa Santana (rechts), der am Woodstock mit David Brown spielte. Getty Images / Tucker Ranson

Es gab etablierte Stars und andere, die es erst noch werden sollten, etwa Santana aus San Francisco. Und es wurde protestiert: in den Liedern von Joan Baez, dem Mitsing-Vietnam-Protest von Country Joe McDonald und der verzerrten Nationalhymne von Jimi Hendrix.

Woodstock – ein Katastrophengebiet

Das Festival war aber noch mehr. Nicht zuletzt eine improvisierte Grossstadt, wo es von allem zu wenig gab, zu wenig Essen und Trinken, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung.

Audio
Der Woodstock-Mythos
aus Treffpunkt vom 14.08.2009.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 47 Sekunden.

Das Terrain wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Nahrung wurde von Militärhelikoptern abgeworfen, über dem Festivalgelände gab es ein riesiges Gewitter, das ein durchweichtes Publikum hinterliess.

Woodstock – eine Legende

Trotzdem ist Woodstock zur Legende geworden. Das lag einerseits an der Musik und andererseits am Protest. Die Jugend war unruhig, man wollte die Lebensart der Eltern nicht akzeptieren – und über allem schwebte der Vietnamkrieg. Die Bands spielten den Soundtrack zur damaligen Zeit.

Woodstock war ein Statement der damaligen Jugend, die auch für kommende Generationen wichtig war. Die Message wurde via Album und Dokumentarfilm in die Welt gesandt.

Sie kam auch in Limerick in Irland an, bei einem jungen Mädchen, das heute als Folk-Sängerin unterwegs ist. Zum 50. Jubiläum nimmt Shirley Grimes an einem Tribut für das legendäre Festival im Zürcher Theater Rigiblick teil.

Sie erinnert sich, wie die Bilder aus Woodstock ihr eine neue Welt zeigten.

Shirley Grimes: «Eine wahre kreative Explosion»

«Zum ersten Mal hab' ich den Woodstock-Film mit 13 oder 14 gesehen. Es war Neujahrsabend, wir waren mit der Familie im Pub. Ich hatte genug und bin heimgegangen. Im Fernsehen lief ‹Woodstock› und der Film hat mich umgehauen.

Eine Frau auf einer Bühne, im Hintergrund ein Bild von Joan Baez.
Legende: Seit ihrer Jugend fasziniert vom Festival: Sängerin Shirley Grimes beim «Tribute to Woodstock». Toni Suter / T + T Fotografie

Das war eine dermassen andere Welt als die, in der ich lebte – und doch spürte ich, dass ich eher nach Woodstock gehören könnte.

Im Rückblick lässt sich vieles einordnen, gerade musikalisch. Was war in den fünf Jahren im Vorfeld dieses Festivals für grossartige Musik gemacht worden! Nur schon die Beatles, aber auch sonst: eine wahre kreative Explosion.

Nun traten einige der besten Interpreten an diesem Festival auf. Und das Publikum hat sich die ganze Vielfalt angehört, trotz Regen und dem andauernden Chaos. Das ist heute undenkbar.

Ich sass vor dem Fernseher, wie verzaubert von den folkigen Klängen, zum Beispiel den magischen Harmonien von Crosby, Stills & Nash. Das war magisch!

Video
Die Schweizer Band Black Sea Dahu interpretiert einen Woodstock-Song von Crosby, Stills & Nash neu
Aus Kultur Webvideos vom 07.08.2019.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 2 Sekunden.

Kurze Zeit später hab ich angefangen, selbst Gitarre zu spielen und Folk zu singen. Meine Gitarrenlehrer waren Hendrix-Fans, also habe ich auch die rockige Seite von Woodstock gehört.

Als ich vom Theater Rigiblick für das Tribut angefragt wurde, war ich erstaunt, welche Songs mir zugewiesen wurden, rockige Sachen von The Who oder ‹White Rabbit› von Jefferson Airplane.

Veranstaltungshinweis

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«Tribute to Woodstock» mit Shirley Grimes läuft aktuell im Theater 11 und im Theater Rigiblick in Zürich.

Bei Letzterem geht es um Drogentrips. Da musste ich mich wirklich reinarbeiten, um den Song authentisch bringen zu können.»

Woodstock – ein legendäres Schlamassel

Schlechte Drogen, schlechtes Wetter, viel zu viele Menschen: Woodstock war ein Chaos. Auch finanziell: Schon bald nach Eröffnung wurden die Zäune des Festivals niedergerissen, die Eintrittskarten waren wertlos. Die Organisatoren standen vor dem finanziellen Ruin.

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Aus dem Archiv: Mythos, Moneten – Rückblick der Woodstock-Macher
Aus Kulturplatz vom 12.08.2009.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 7 Sekunden.

Doch die Dokumente des Anlasses wurden zu durchschlagenden kommerziellen Erfolgen. Wer den Film sah, wollte die Schallplatte kaufen, wer diese besass, wollte Woodstock sehen.

So erging es auch Franz Treichler aus Fribourg. Jahrzehnte später entwarf er als Frontmann der Young Gods zum 40. Jubliäum ein eigenes Woodstock-Projekt. Seine Band begleitete die Filmbilder von damals live auf der Bühne.

Für Franz Treichler hat das historische Musikereignis viel Gegenwärtiges.

Franz Treichler: «Woodstock bedeutet Offenheit»

«Mein Bruder ist fünf Jahre älter als ich, und unter seinen Schallplatten war die von Woodstock. Er hat mir vieles dazu erklärt. Zuerst fand ich Santana grossartig, dann Hendrix.

Ein Sänger auf einer Bühne, darüber Bildschirme mit einer Grossaufnahme von einem schwarzen Sänger.
Legende: Heute und gestern: The Young Gods vertonten vor 5 Jahren den Woodstock-Film neu. Keystone / Sigi Tischler

Mit etwa 14 habe ich den Film gesehen: Der hatte eine starke Wirkung für einen Jungen aus einer katholisch geprägten Kleinstadt. Ein interessanter Dokumentarfilm, in mehrerlei Hinsicht.

Man sieht zum Beispiel wie die Leute an den Telefonapparaten anstehen, um sich bei der Familie und den Freunden zu melden – heute ist das weit weg.

Er zeigt aber auch gesellschaftliche Debatten und Phänomene, die uns bis heute beschäftigen. Es geht um Umweltschutz, um Yoga, Meditation, Trance. Es war also nicht nur die Musik, die revolutionär war. Woodstock bedeutet für mich Offenheit.

In unserem Programm ‹Young Gods play Woodstock› haben wir nicht nur Stücke aus dem Film nachgespielt, sondern auch unsere eigenen Songs zu den Filmaufnahmen gespielt.

Etwa zu den Aufnahmen der nostalgischen Rock’n’Roll-Band Sha Na Na, die heute wie ein Witz erscheint in ihren Glitzerkostümen, mitten unter all diesen lauten Hippies. Aber diese Band bestand zu zwei Dritteln aus Schwulen. Was für ein Zeichen zur damaligen Zeit!

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Was bleibt von Woodstock 1969?
aus Musikmagazin vom 03.08.2019. Bild: Imago / United Archives
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Das ist es, was Woodstock für mich ausmacht: Trotz aller Widersprüche steht für mich die Hoffnung auf eine andere Gesellschaft im Vordergrund. Dass man gemeinsam etwas erreichen kann.»

Woodstock – ein Mythos, eine Marke

Woodstock ist eine Marke, bis heute. Des Sommers versuchen sich allerlei Musikfestivals weltweit in Anspielungen, die eine wie auch immer geartete Verwandtschaft mit jenem Event herstellen sollen – etwa das Woodstock der Blasmusik in Österreich.

Das Woodstock-Festival selbst wird zu Jubiläen hin neu aufgegleist. 1994 war etwa auch der Superstar dabei, der beim Original gefehlt hatte: Bob Dylan. Gleichzeitig errichtete man bereits vorsorglich eine Schlammrutschbahn, damit das Publikum die Ereignisse aus dem fernen 1969 nachspielen konnte – auch ohne Regen.

Bei solch berechnenden Versuchen, die Marke weiter zu tragen, zeigt sich nur eines: Das Woodstock-Festival im August vor 50 Jahren war eine zufällige Kombination von Rockkonzert, Protestaktion, Hippiefest und Katastophengebiet – und ist als solches unwiederholbar.

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