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Endo Anaconda über Gott und die Welt
Aus Perspektiven vom 28.09.2019. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Zum Tod von Endo Anaconda Erinnerungen an ein Treffen mit dem «Hobby-Theologen» Anaconda

«Ich löse mich mehr und mehr von materiellen Dingen», so Endo Anaconda. Er sah sich nicht als religiös, aber spirituell.

Es regnete am Bahnhof Trubschachen im Emmental. Die Menschen verkrochen sich unter Kapuzen und Regenschirmen.

Trotzdem erkannte ich ihn sofort an Statur und Hut: Endo Anaconda, Schwergewicht der Schweizer Musikszene und prägender Kopf der Mundartband Stiller Has. Er holte mich am Bahnhof ab.

Kurze Zeit später, im Auto, waren wir bereits mitten im Thema.

Schläge im Internat

Endo Anaconda erzählte von seiner Kindheit, vom Tod des Vaters, als er vier Jahre alt war. Von der Mutter, einer Österreicherin, die quasi über Nacht zurück in ihre Heimat ging. Zurück ins tief katholische Kärnten, mit ihren drei Buben.

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Aus dem Archiv: «Ich will Menschen erreichen, nicht Sparten»
Aus Kulturplatz vom 29.05.2019.
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«Ich war geschockt von den barocken Jesus-Figuren, die dort überall hingen, dieses Heilands-‹Gekröse› überall. Wir waren vorher nicht sonderlich religiös», erinnerte sich Endo Anaconda. «Das katholische Österreich erschien mir schrecklich – hier wurde auch geprügelt.»

An die Schläge im katholischen Internat konnte sich Endo Anaconda auch rund 50 Jahre später noch gut erinnern. Ihm sei damals die Religion regelrecht «herausgeprügelt» worden.

Nächtliche Guerilla-Aktion

In seiner Küche erzählte er von der Zeit im Internat der Don-Bosco-Brüder in Klagenfurt. Dort wurden er und seine Mitschüler erzogen – mit viel Disziplin und auch mit körperlicher Gewalt.

«Das ging von der Kopfnuss bis zu stundenlangem Knien auf einem Holzscheit oder nächtlichem Stehen vor der Don-Bosco-Figur.»

Dagegen wehrte sich Endo Anaconda mit heimlichen Widerstandsaktionen: «Einmal schnitzte ich der Statue von Don Bosco den grossen Zeh ab. Niemand hat das bemerkt.» Auch nahm er sich kleine Freiheiten heraus, hörte Radio in der Nacht oder las verbotene Bücher.

Trotz allem seien es schwere Zeiten gewesen. «Nach der Schule hatte ich einen wahnsinnigen Hass auf die Kirche.»

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Aus dem Archiv: Roger Schawinski im Gespräch mit Endo Anaconda
Aus Schawinski vom 26.06.2017.
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Coca Cola statt Esel

Später sah Endo Anaconda auch das Positive seiner katholisch geprägten Kindheit: «Das Rituelle strukturierte das Leben. Das hatte irgendwie eine Rock'n'Roll-Kraft.»

Diese Rituale vermisste Endo Anaconda in der Gesellschaft. Viele Feiertage, etwa der Samichlaus-Tag, seien mittlerweile überhaupt nicht mehr sinnlich, sagte er. «Santa Claus hat den Samichlaus verdrängt und ist mit einem Coca-Cola-Camion unterwegs statt mit einem Eseli.»

Diese volkstümlichen Rituale hätten aber eigentlich sowieso nichts mit Religion zu tun, so Endo Anaconda. «Gott hat ja keine Religion. Die Menschen haben eine.»

Mehr Auftrag als Person

Bei manchen Liedern von Stiller Has kann man den Eindruck bekommen, dass Endo Anaconda für Spiritualität und das Sinnliche der Religion offen war.

Mal singt er vom letzten Paradies, «wo’s nid so yklemmt isch wie hie». Mal ist der Papst Kommunist oder der Teufel muss in Therapie gehen – wie im Song «Märli».

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Sänger Endo Anaconda zu Gast im SRF 2-Studio
aus Kultur-Aktualität vom 24.02.2017.
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Tatsächlich habe er als Kind Pfarrer werden wollen, erzählte der Sänger – und bezeichnete sich als «Hobby-Theologe». Gleichzeitig kritisierte er den Machtapparat der römisch-katholischen Kirche und gewisse Gottesbilder.

«Mit einem personifizierten Gott kann ich nichts anfangen. Gott ist nicht erklärlich. Er ist für mich viel eher Auftrag, Mensch zu sein. Eine Ethik zu entwickeln. Zu zweifeln und nach Wissen zu streben.»

Das einfache Leben

Daher sei er nicht religiös, sondern eher spirituell, so der Musiker. Er sah sich als verbunden mit der Welt: «Mich interessiert, wie unterschiedliche Menschen versuchen, ihre Spiritualität auszuleben und ein höheres Bewusstsein zu erlangen.»

Dazu gehörte für den Musiker auch «das Erkennen der eigenen Nichtigkeit. Ich neige zur Askese, zum einfachen Leben. Das war einmal anders. Heute aber löse ich mich mehr und mehr von materiellen Dingen.»

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 28.09.2019.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 2.2.22, 17:20 Uhr

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