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Alzheimer-Forschung Hoffnung auf Alzheimer-Impfung und Demenzpille

Noch gibt es kein Mittel gegen Demenz und keine Spritze gegen Alzheimer. Doch die Alzheimer-Forschung macht Fortschritte. In vier Bereichen geben neue Befunde Anlass zur Hoffnung.

1. Vergessliche Fruchtfliegen liefern Erkenntnisse

Es gibt kein Tier, das natürlicherweise Alzheimer entwickelt. Von unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, sind zwar ähnliche Hirnveränderungen bekannt.

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Doch fehlen systematische Untersuchungen an lebenden Primaten – auch aus ethischen Gründen.

Die Alzheimer-Grundlagenforschung geschieht daher an Zellkulturen oder an genetisch veränderten Kleintieren. An Mäusen oder Fruchtfliegen beispielsweise, denen eines der bekannten Risiko-Gene ins Erbgut geschleust wurde.

Zwar gibt es keine Mäuse mit Wortfindungsstörung und keine Fruchtfliegen, die einem Kochrezept nicht mehr folgen könnten. Aber auch sie verändern ihr Verhalten in typischer Weise, wenn ihr Erbgut entsprechend verändert wurde.

Das zeigt z.B. ein Fruchtfliegen-Experiment aus den USA. Die Forscher haben Gendefekte eingeschleust, die denen bei Menschen mit Alzheimer ähneln. Die Tiere wurden vergesslich.

Normalerweise meiden Fliegenmännchen jene Weibchen, bei denen sie auf der Brautschau abgeblitzt sind. Doch die gentechnisch veränderten Fruchtfliegen-Männchen konnten sich jeweils nicht mehr an die Abfuhr erinnern – und balzten trotz Zurückweisung unermüdlich weiter.

Eine PErson schaut auf einen Bildschirm, auf dem Rötgenaufnahmen eines menschlichen Gehirns zu sehen sind.
Legende: Bei jung an Alzheimer erkrankten Menschen können die Veränderungen im Hirn lückenlos beobachtet werden. Keystone

2. Hochrisikofamilien machen Hoffnung

Alzheimer ist eine Alterskrankheit. Doch sehr selten bricht Alzheimer schon früher aus: zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Diese frühe Form ist erblich.

Kinder betroffener Eltern haben ein sehr hohes Risiko, später ebenfalls zu erkranken. Im Gehirn dieser Menschen bilden sich schon mit 20, 30 Jahren die typischen toxischen Ablagerungen. Zwei, drei Jahrzehnte später treten dann die ersten beobachtbaren Alzheimer-Symptome auf, etwa Gedächtnis- und Orientierungsprobleme.

Für die betroffenen Familien ist diese erbliche Belastung verbunden mit sehr viel Leid. Für die Menschheit jedoch gibt das Schicksal dieser Familien Anlass zur Hoffnung. Denn die Alzheimerforscher können hier die Entwicklung der Degenerationsprozesse im Gehirn lückenlos beobachten.

Diese Erkenntnisse könnten Grundlage für künftige Therapien sein – nicht nur für die seltene frühe Variante, sondern auch für die verbreitete späte Form von Alzheimer.

Eine Frau mit langen, grauen Haaren steht am Ufer eines Sees und schaut in die Ferne.
Legende: Genetisch vorbelastete Frauen erkranken im Alter von 65 bis 75 Jahren sehr viel häufiger an Alzheimer als Männer. Keystone

3. Die Demenz ist weiblich

Alter, Gene und Geschlecht prägen das Risiko eines Menschen, an Alzheimer zu erkranken. Weltweit leben mehr Frauen mit Demenz als Männer.

Das hat mit der höheren Lebenserwartung von Frauen zu tun. Aber das Alter alleine reicht nicht, um zu erklären, warum die Alzheimer-Krankheit Frauen besonders häufig und oft auch besonders heftig trifft.

Ein internationales Wissenschafts-Team hat vor kurzem die Daten von 60'000 Menschen aus Europa und Nordamerika analysiert und ein auffällig kritisches Zeitfenster entdeckt. Und zwar bei Frauen, die das Risiko-Gen ApoE4 in sich tragen.

Wer Träger dieses Gens ist, hat ein erhöhtes Risiko, im Alter Alzheimer zu entwickeln – egal ob Mann oder Frau. Doch genetisch vorbelastete Frauen erkranken im Zeitfenster von etwa 65 bis 75 Jahren deutlich häufiger an Alzheimer als Männer mit demselben Risiko-Gen.

Warum dieses Gen Frauen häufiger erkranken lässt als Männer, ist unklar. Eine Hypothese besagt, dass es die hormonellen Veränderungen während der Menopause sind, die das Risiko-Gen aktivieren.

Nahaufnahme eines Gesichts. Erkennbar sind nur die Augen, im Vordergrund sind unscharf Reagenzgläser zu sehen.
Legende: Mit DNA-Tests kann man sich relativ günstig selbst auf Risiko-Gene testen. Reuters

4. Bedenkliche Selbsttests: Experimentieren statt Verzweifeln

Discount-Gentest-Analysen machen es seit einigen Jahren möglich: Ein halbes Teelöffelchen Spucke reicht, um sich auf Risiko-Gene hin testen zu lassen. Etwa auf die Genvariante ApoE4.

Für 99 Dollar verkauft beispielsweise die Firma «23andMe» DNA-Tests für zu Hause. So gelangen Menschen heute zu Wissen, das vor allem für eins sorgt: für Unsicherheit und Angst – und manchmal auch für den Mut der Verzweiflung.

Betroffene machen sich selbst zum Versuchsobjekt. Obwohl nicht klar ist, auf welche Weise das ApoE4-Gen das Alzheimer-Risiko steigert, schlucken sie Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel und spezielle Öle, deren Nutzen unbewiesen und deren Wirkung fraglich sind.

Sie verzichten auf Zucker oder Fett oder auf beides. Manche fasten exzessiv und trainieren intensiv in der Hoffnung den möglichen Ausbruch von Alzheimer zu verhindern.

Zu den derart Angetriebenen gehören z.B. jene durch ihre «23andMe»-Resultate aufgeschreckten Frauen und Männer aus aller Welt, die sich im Internet-Forum «ApoE4 Info» zusammengeschlossen haben. Sie haben sich entschlossen im Selbstversuch gegen Alzheimer anzutreten – und bezeichnen sich selber als «Gen-Pioniere».

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 20.9.2017, 9.02 Uhr.

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