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Caspar Hirschi – der Experte für Experten
Aus Kontext vom 22.01.2019. Bild: ZVG
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Angriff auf die Fakten Sind Experten ein Auslaufmodell?

Der Historiker Caspar Hirschi sieht das Expertentum in der Krise. Die Experten selber sehen das allerdings entspannter.

US-Präsident Donald Trump sagte es im Wahlkampf ganz offen: Experten seien «schrecklich». Das Schimpfen über Experten gehört in der populistischen Politik sozusagen zum guten Ton.

In England geschah das beim Abstimmungskampf um den Brexit. Aber auch in der Schweiz passiert es: Beispielsweise wenn die SVP die Glaubwürdigkeit von Klima- oder Europaexperten anzweifelt.

Diese Beispiele nennt der Schweizer Historiker Caspar Hirschi in seinem breit diskutierten Buch über «Skandal-Experten und Expertenskandale».

Literaturhinweis

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Caspar Hirschi: «Skandal-Experten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems». Matthes & Seitz, 2018.

Gerade weil unsere Wissensgesellschaft immer stärker auf Experten angewiesen sei, sei ihre Rolle in den letzten Jahren stark überhöht worden. Umso grösser ist jetzt ihr Fall und somit die Krise der Experten. So lautet Hirschis These.

Von der SVP ernst genommen

Angefragte Schweizer Experten wollen seine These allerdings nicht unterschreiben. Etwa die Europarechtsexpertin Christa Tobler. Sie bewegt sich in einem der meistdiskutierten Politikfelder der Schweiz.

Ihren Expertenstatus sieht sie nicht in Gefahr: «Ich glaube, bei uns in der Schweiz gibt es noch immer das Verständnis, dass Leute mit besonderem Sachverstand etwas zur Diskussion beitragen können.»

Beim Auftritt in den Medien sei es aber essentiell, strikt die Expertenrolle zu wahren. Das heisst: Nur Aussagen über rechtliche Sachverhalte machen und nicht seine eigene Meinung zur Sache ins Spiel zu bringen.

Christa Tobler bei einer Anhörung
Legende: Fühlt sich ernstgenommen: Europarechtsexpertin Christa Tobler. Keystone/ Peter Klaunzer

Beim Auftritt als Privatperson hingegen sei sie freier, sagt Tobler. Sie habe sich beispielsweise öffentlich gegen die Selbstbestimmungsinitiative ausgesprochen.

In ihrer Rolle als Europarechtsexpertin fühle sie sich aber nach wie vor ernstgenommen – auch von der SVP.

Medien vereinfachen zu stark

Lesenswert ist das Buch von Caspar Hirschi trotzdem. Es bietet wunderbare Anschauungsbeispiele, wie das Zusammenspiel von Experten, Medien und Politik funktioniert.

Nach dem verheerenden Erbeben von 2009 in L’Aquila in Italien etwa wurden sechs Erdbeben-Experten zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie das Erdbebenrisiko in der Abruzzenstadt verharmlost haben sollen. Das führte zu einem weltweiten Protest unter Wissenschaftlern.

In der Tat war der Fall viel komplexer als von den Medien dargestellt. Hirschi zeigt im Detail, wie die Politik die Wissenschaftler als Experten missbraucht hat, um von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Die Mitschuld der Wissenschaft

Aber auch die Wissenschaft selbst sei nicht unschuldig an den teils überzogenen Ansprüchen, die an die Expertinnen und Experten gestellt werden, schreibt Hirschi. Er kritisiert, dass es im heutigen Wissenschaftsbetrieb zu wenige öffentliche Debatten gebe.

Die Akademiker hätten sich zu stark auf ihre innerfachlichen Diskussionen zurückgezogen und würden einander kaum mehr öffentlich fachlich kritisieren. Dadurch werde es für die Laien zunehmend schwierig, hinter die Fassaden der Akademien zu sehen.

Wenn sie glaubwürdig bleiben wollten, so Hirschi, müssten Experten auch öfter mal zugeben können, wenn sie etwas nicht wissen.

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