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Minderwertige Implantate können tödlich sein
Aus Echo der Zeit vom 26.11.2018. Bild: Keystone
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«Implant Files» Der Markt mit Medizinprodukten krankt

Mit Implantaten wird im grossen Stil gepfuscht, zeigen weltweite Recherchen. Auch die Schweiz ist betroffen.

Eine neue Hüfte, ein lebensrettender Herzschrittmacher, eine künstliche Bandscheibe: Der Markt mit implantierten Medizinprodukten boomt. Immer mehr Menschen tragen ein Implantat im Körper.

Weltweit werden aber auch immer mehr Menschen durch schlechte Implantate verletzt, krank oder gar getötet. Zu diesem Schluss kommen die sogenannten Implant Files.

Die «Implant Files»-Recherchen

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An den «Implant Files» waren 60 Medien aus 30 Ländern weltweit beteiligt, darunter auch Schweizer Journalisten von Tamedia. Zwei Jahre dauerten die Recherchen. Koordiniert wurden sie vom Internationalen Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) in Washington.

Der Befund: Bei medizinischen Implantaten wird im grossen Stil gepfuscht – und die Mängel oder Gefahren vertuscht. Die Zahlen deuten darauf hin, dass in den letzten Jahren weltweit -zigtausende Patientinnen und Patienten von fehlerhaften Implantaten betroffen waren oder daran gestorben sind.

Beunruhigend viele Implantete sind demnach alles andere als hilfreich: Herzschrittmacher senden Elektroschocks aus, sich zersetzende Bandscheibenimplantate schädigen umliegendes Gewebe, korrodierende Hüftgelenke lassen Knochen faulen.

Allein in Deutschland kam es im vergangenen Jahr 14'000 Mal zu Verletzungen oder Todesfällen im Zusammenhang mit medizinischen Implantaten. In der Schweiz, wo kaum andere Produkte verwendet werden, entspräche dies rund 1'400 Komplikationsfällen.

Alles begann mit einem Mandarinennetz

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Legende: Imago / Steinach

Die aktuellen Recherche hat die niederländische Journalistin Jet Schouten vor drei Jahren mit einem Experiment ausgelöst.

Schouten hatte in einem Laden ein Netz mit Mandarinen gekauft. Ein Stück Netz schnitt sie aus und pries es bei drei offiziellen Prüfstellen als Vaginalnetz für Frauen mit Inkontinenz an.

Sie wies zwar auf vermeintliche Mängel hin, erhielt aber dennoch von allen drei Stellen positive Signale, dass das Netz für Studien wohl zugelassen würde.

Regulierung hinkt hinterher

Bernhard Bichsel leitet die Abteilung Medizinprodukte bei «Swissmedic», dem Schweizerischen Heilmittelinstitut. Ihn erstaunen diese Zahlen nicht.

Man wisse um die Probleme bei der Sicherheit von Medizinprodukten: «Diese Branche ist viel jünger als etwa die Pharmabranche, und erst seit Anfang der 1990er Jahre reguliert.»

Private Zulasser in der Kritik

Insbesondere jene Stellen, die die Qualität von Implantaten beurteilen und über deren Zulassung entscheiden, stehen in der Kritik. In der Schweiz sind dies zwei Firmen, in ganz Europa etwa 50.

Anders als bei der Zulassung von Medikamenten durch die «Swissmedic» vertraut man hier auf die Expertise von privaten Instituten. Die Gefahr für Gefälligkeitsgutachten sei zu gross, wenn private Firmen ihre Kunden wegen eines abschlägigen Bescheid nicht verlieren wollten, heisst es von Seiten der Kritiker.

Spitäler in der Pflicht

Bernhard Bichsel von «Swissmedic» sieht das Problem nicht im System der Zulassung, sondern in dessen Überwachung. Die Firmen müssten besser kontrolliert werden.

Vor allem aber müssten jene, die Komplikationen mit Implantaten beobachten, etwa die Spitäler, solche auch melden. Hier liege vieles im Argen, sagt Bernhard Bichsel: «Spitäler melden 5- bis 7-mal seltener Komplikationen als die Hersteller.» Obwohl sie gesetzlich verpflichtet wären, Mängel zu melden.

Häufig tun sie dies nicht. «Swissmedic» hat daher im vergangenen Jahr ein Strafverfahren gegen drei grosse öffentliche Kliniken eröffnet: Die Unispitäler in Zürich und Basel sowie das Kantonsspital St. Gallen.

Erst übermorgen wirksam

Beatrice Heim, Nationalrätin und Expertin für Qualitätssicherung im Gesundheitsbereich, pocht auf grössere Sensibilität: «Aus ärztlicher und ethischer Sicht sind diese Mängel nicht verantwortbar. Es braucht dringend eine höhere Wachsamkeit, bessere Prüfung und Überwachung der Medizinprodukte.»

Sie fordert eine Haftpflicht für die Zertifizierungsfirmen und ein zentrales Register, das alle Vorfälle erfasst und zugänglich ist für Patientinnen und Patienten.

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Implantat ja, Implantat nein
aus Kontext vom 06.06.2017. Bild: imago/localpic
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Die Anforderungen an Medizinprodukte wurden in der Schweiz und der EU bereits 2012 verschärft. Weitere Verschärfungen sind in Planung, etwa im Rahmen der laufenden Revision des Schweizer Medizinprodukterechts.

Doch bis die Wirkung der strengeren Zulassungsbedingungen greift, werden noch viele Patienten neu erkranken – an den verzögert auftretenden Folgen alter und unzureichender Implantate. Der Druck von heute wird also erst übermorgen Wirkung zeigen.

Sendung: Radio SRF, Echo der Zeit, 26.11.18, 18.00 Uhr

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