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Reha der Zukunft Wie Virtual Reality gelähmten Patienten helfen kann

Lausanner Forscher nutzen Virtual Reality und Videospiele, um Muskeln von Menschen mit Lähmungen besser zu trainieren. Denn damit lässt sich auch das Gehirn austricksen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Lausanner Start-Up Mindmaze nutzt Virtual Reality, um Menschen nach einem Schlaganfall besser zu helfen.
  • Dazu ergänzt Mindmaze die Reha-Massnahmen um Übungen mit einem virtuellen Avatar.
  • Virtual Reality soll Patienten motivieren, dranzubleiben und positive Effekte im Gehirn auslösen, erklären die Lausanner Forscherinnen.

Im Firmengebäude von Mindmaze in Lausanne legt Odile Chevalley ihrer Kollegin Stella Seeberg schwarze Gurte um die Schultern und zieht sie fest. Schwarze Bänder mit Klettverschluss umschliessen die Ellbogen, die Handgelenke und den Handrücken.

Die beiden jungen Frauen sind Physiotherapeutinnen. Sie zeigen mir, wie «Mindmotion Pro» funktioniert: ein neuartiges System, das Patienten helfen soll, deren Arme und Hände ganz oder teilweise gelähmt sind.

Ein Avatar bewegt sich mit

Odile Chevalley befestigt kleine Lampen an den schwarzen Gurten, insgesamt sechs helle Lichtpunkte. So kann die Kamera des Systems erkennen, wie sich die Patientin – in diesem Fall Stella Seeberg – bewegt, erklärt Odile Chevalley.

Vor Stella Seeberg steht ein Bildschirm, darauf sind zwei Arme zu erkennen. Von Seeberg aus gesehen, wirkt es fast, als wären es ihre eigenen Arme: Wenn sie ihre Hand nach vorne bewegt, dann tut das auch der Arm auf dem Bildschirm. Dreht sie ihre Hand, dreht sich auch die Hand ihres künstlichen Alter Egos, des Avatars. Ihre Bewegungen werden in eine virtuelle Welt hineinverlegt.

Zu mühsamen Übungen motivieren

Viele Patienten sind nach einem Schlaganfall stark gelähmt. Wenn sie mit den Reha-Massnahmen anfangen, ist alles mühsam. Sie spüren kaum Fortschritte, egal, wie sehr sie sich bemühen.

Die virtuelle Welt macht ihre Fortschritte sichtbarer und messbarer. «Das motiviert die Patienten, dranzubleiben», erklärt Stella Seeberg: «Die Idee ist, dass sie dank Virtual Reality intensiver und mehr trainieren.»

Odile Chevalley startet eines der Übungsprogramme. Auf dem Bildschirm erscheint ein Puck. Stella Seebergs Aufgabe: Sie muss den Puck greifen, dabei die Hand rotieren und ihn auf eine virtuelle Zielscheibe legen.

Ehrgeiz hilft weiter

In den Übungen stecken viele Stunden Entwicklungsarbeit, viel Nachdenken und Tüftelei. Welche Übung hilft wem – welche frustriert mehr, als dass sie hilft? Ein delikates Gleichgewicht, weiss Physiotherapeutin Stella Seeberg aus ihrer Erfahrung in der Klinik.

Für die Patienten, sagt Stella Seeberg, ist das direkte Feedback wichtig, das sie vom System bekommen. Je mehr sie trainieren, umso besser gelingen ihnen die Übungen. Auch kleinste Fortschritte erkennt das Kamerasystem, die Bewertung wird immer besser.

«Es liegt in der menschlichen Natur, dass man sich verbessern will», sagt Seeberg. Dieser Ehrgeiz hilft. Denn in der Reha gilt: Je mehr ein Patient übt, umso höher sind seine Chance auf Besserung.

Nervenzellen lassen sich retten

Als nächstes ist die Spiegelübung dran. Sie ist selbst für die gesunde Stella Seeberg schwierig. Wenn sie den rechten Arm bewegt, sieht es auf dem Bildschirm aus, als würde sie den linken bewegen. Mehr als einmal bewegt sie ihren Arm in die falsche Richtung.

Was bringt diese Übung?, frage ich Andrea Serino. Der Italiener ist Neurowissenschaftler am Universitätsspital Lausanne und Chef der Neuroabteilung bei Mindmaze.

«Durch den Schlaganfall wird die Durchblutung gestört. Nervenzellen sterben ab, der Bereich entzündet sich», erklärt er. Betrifft dieser Schaden die Region im Gehirn, die bei gesunden Menschen den Arm bewegt, dann ist der Arm mehr oder minder stark gelähmt.

Die toten Nervenzellen seien zwar verloren, sagt Andrea Serino. Aber viele Nervenzellen im Randbereich des Schadens lebten noch und liessen sich retten.

Der Trick mit der Spiegelung

Nervenzellen reden unablässig miteinander. So steuern sie gemeinsam, was wir täglich tun. «Wenn ihnen aber die Nachbarn, also die Gesprächspartner fehlen, hören auch die übrig gebliebenen Nervenzellen irgendwann auf zu reden und verkümmern.»

Hier kommt der Spiegeltrick ins Spiel. Denn es funktioniert auch umgekehrt: Unsere Nervenzellen werden nicht nur angesprochen, wenn sie selbst den Arm steuern, sondern auch, wenn wir zuschauen, wie ein Arm sich bewegt.

Auf dem Bildschirm sieht es für den Patienten so aus, als würde sich der eigene, der kranke Arm bewegen. Das spricht genau die Hirnareale an, die es zu aktivieren und zu trainieren gilt, damit der Patient Stück für Stück wieder die Kontrolle über seinen richtigen Arm zurückbekommt.

Die Firma Mindmaze hat begonnen, ihr neuartiges Trainingssystem zu vermarkten. Wie gut sich klassische Reha-Massnahmen und die virtuelle Welt ergänzen, wird sich in der Praxis zeigen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 17.1.18, 9.02 Uhr

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