Harry Siviter war fleissig. Der Forscher von der Universität von Texas hat sämtliche auffindbaren Studien zusammengesucht, die es zum Thema Hummeln, Wildbienen, Honigbienen und den Stressfaktoren gibt, die ihnen schaden können: schlechte Nahrung, Krankheiten, Parasiten und Agrochemikalien.
Er wollte wissen, wie diese Stressfaktoren zusammen wirken. In vielen einzelnen, teils kleinen Studien, wurde diese Frage schon untersucht, doch deren Aussagekraft ist oft begrenzt. Siviter durchforstete deshalb 15'000 existierende Studien und wählte die aus, die das Zusammenwirken verschiedener Stressfaktoren untersuchten. Er prüfte deren Qualität und kam schliesslich auf 90 auswertbare Studien, deren Ergebnisse und Rohdaten er kombinierte. Seine Übersichtsstudie erschien heute im Fachmagazin «Nature» .
Pestizide können sich in ihrer Wirkung verstärken
Das klare Fazit: Agrochemikalien haben häufig einen synergistischen Effekt. Das heisst: Wenn ein einzelnes Pestizid zehn Prozent der Bienen in einem Bienenvolk tötet, und ein zweites Pflanzenschutzmittel noch einmal zehn Prozent, würde man erwarten, dass ein Bienenvolk das beiden Stoffen ausgesetzt ist, 20 Prozent der Tiere verlieren würde.
Die Studienauswertung zeigt nun aber: Beide Pestizide können sich in ihrer Wirkung auch gegenseitig verstärken, so dass der Effekt grösser ist als 20 Prozent.
Harry Siviter betont, das gelte auch bei Konzentrationen, die Honigbienen, Wildbienen und Hummeln tatsächlich auf dem Feld in freier Wildbahn antreffen.
Überrascht hat ihn das Ergebnis nicht, sagt Siviter. Vor allem, weil eben viele kleinere Studien diesen Effekt schon gezeigt hatten. Doch seine breit angelegte, neue Auswertung gibt dem Ganzen eine deutlich robustere Datengrundlage.
Anpassung der Zulassungsverfahren gefordert
Auch Peter Neumann, Bienenforscher von der Universität Bern, ist nicht überrascht. Die Forderung, die Neumann ableitet, ist konkret: «Es wäre sinnvoll wenn die Zulassungsverfahren Interaktionen berücksichtigen würden».
Genau das tun Zulassungsverfahren nämlich bisher nicht: sie prüfen Agrochemikalien isoliert voneinander und ignorieren fast komplett, ob und wie diese zusammenwirken. «Damit ist vorprogrammiert, dass Unvorhergesehenes geschieht, sobald die zugelassenen Stoffe tatsächlich genutzt werden», sagt Adam Vanbergen vom französischen Agrarforschungsinstitut INRAE in Dijon.
Anders als bei Medikamenten oder Impfstoffen wird bei Agrochemikalien nach der Zulassung nicht regelhaft untersucht, wie diese in der Umwelt wirken, sagt Siviter. Sind diese Stoffe einmal zugelassen, sind sie «einfach da draussen,» wie Siviter es nennt. Gerade unerwartete Effekte würden deshalb nicht ausreichend entdeckt und beachtet.
Harry Siviter hofft, dass seine Studie Bewegung in die Sache bringt. Zulassungsbehörden orientieren sich für gewöhnlich an harten Fakten – je solider desto besser, sagt er, und davon lege er nun einige mehr auf den Tisch. Er könnte Recht behalten: Die EU-Zulassungsbehörde EFSA arbeitet zurzeit an entsprechenden Updates ihrer Prüfverfahren.