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Schweizer Stammzellforschung Wie die Schweiz Ja zur Forschung mit Stammzellen sagte

Lesedauer: 5 Minuten

2001 lancierte der Schweizerische Nationalfonds (SNF) die Debatte zur Stammzellforschung: Er unterstützte ein Forschungsgesuch für eine Studie mit importierten embryonalen Stammzellen. Gleichzeitig forderte er eine rasche gesetzliche Regelung.

Die Lausanner Immunologin Heidi Diggelmann war damals Präsidentin des Forschungsrates des SNF. Sie erinnert sich an eine Zeit, in der die Forschung den Austausch mit Politik und Gesellschaft suchte.

Heidi Diggelmann

Heidi Diggelmann

Wissenschaftlerin

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Die Lausanner Immunologin Prof. Dr. Heidi Diggelmann war als Präsidentin des Forschungsrates des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) massgeblich an der politischen Debatte zur Stammzellforschung in der Schweiz beteiligt. (Bild: Plans-Fixes / Mario Del Curto)

SRF: Die Forschung mit embryonalen Stammzellen aus dem Ausland war 2001 nicht explizit verboten. Trotzdem war die Brisanz des Themas offensichtlich. Wie gingen Sie mit diesem heiklen Thema um?

Heidi Diggelmann: Dieses Gesuch war politisch ein heisses Eisen. Wir haben uns daher sofort auch mit der nächsthöheren Instanz innerhalb des SNF, dem Stiftungsrat, besprochen.

Diese Aufsichtsbehörde wurde damals vom Glarner Ständerat und Juristen Fritz Schiesser geleitet. Schon im ersten Gespräch sagte er mir: «Bevor ich mich engagiere, will ich zuerst verstehen, worum es hier überhaupt geht.» Ihm war sofort klar, dass diese Forschung einen Schritt in die Politik hinein machen würde.

Audio
Heidi Diggelmann über die Debatte zur Stammzellforschung
aus Kontext vom 07.11.2018. Bild: KEYSTONE / Edi Engeler
abspielen. Laufzeit 13 Minuten.

Wie ging der SNF damals mit den ethischen Fragen um, die sich bei der Forschung mit Stammzellen stellen?

Für uns Forschende war klar, dass die Stammzellforschung sehr wichtig ist. Wir wollten uns aber der ethischen Diskussion in der Öffentlichkeit stellen.

Der kritische Punkt, also die Gewinnung der embryonalen Stammzellen, hatte ja nicht in der Schweiz stattgefunden. Die Stammzellen wurden damals importiert. Man hat sich hierzulande also der ethischen Frage, wie diese Stammzellen entstanden sind, nicht stellen müssen.

Wir wollten eine klare Haltung von Seiten der Forschung, aber auch in der Gesellschaft, erarbeiten.

Trotzdem mussten wir uns als verantwortliche Kommission letztendlich mit diesen Fragen befassen: Wo kommen diese embryonalen Stammzellen her, wie darf mit ihnen gearbeitet werden, ist die Arbeit mit solchen Zellen ein moralischer Übergriff?

Ein Frau schaut auf eine Glasschale, die sie mit Plastikhandschuhen in der Hand hält.
Legende: Die Genfer Biomedizinerin Marisa Jaconi mit Proben von embryonalen Stammzellen. Ihr Forschungsgesuch wurde 2001 vom SNF unterstützt. KEYSTONE / Gaetan Bally

Das Gesuch aus Genf war für uns der Auslöser, diese Diskussion über die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu führen. Wir wollten eine klare Haltung von Seiten der Forschung, aber auch in der Gesellschaft, erarbeiten.

Der Weg zum Stammzellenforschungsgesetz

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Im Jahr 2001 spricht der Schweizerische Nationalfonds 300'000 Franken für eine Studie mit embryonalen Stammzellen. Das Gesuch hatte die Genfer Biomedizinerin Marisa Jaconi eingereicht.

Mit der Bewilligung verlangt der Rat, dass die Forschung mit Stammzellen gesetzlich geregelt wird. Es folgen ein langwieriger politischer Prozess und eine breite öffentliche Debatte.

2004 nehmen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger das Gesetz mit 66% Ja-Stimmen an, 2005 tritt das Schweizer Stammzellenforschungsgesetz in Kraft.

Das Schweizer Stammzellenforschungsgesetz besagt, dass in der Schweiz mit Stammzellen von überzähligen Embryonen (aus der Fruchtbarkeitsmedizin) geforscht werden darf. Vorausgesetzt:

  • Das Spenderpaar willigt ein.
  • Die Spende ist unentgeltlich.
  • Die Forschenden dürfen nicht involviert gewesen sein in das Fortpflanzungsverfahren.
  • Das Klonen von menschlichen Zellen ist verboten.

Sie haben damals in einer Medienmitteilung bekannt gemacht, dass sie das Genfer Gesuch finanziell unterstützen. In derselben Mitteilung forderten Sie eine politische und öffentliche Diskussion. Wie haben sie diese gestartet?

Die Arbeit begann im kleinen Kreis. Die zuständige Bundesrätin Ruth Dreifuss, Fritz Schiesser und ich führten die Auseinandersetzung zuerst zu dritt und dann in einem sich ständig erweiternden Kreis.

Wir drei kannten uns bereits zuvor wegen früherer Abstimmungen zu Forschungsthemen. Diese Kontakte waren sehr wichtig, um konstruktiv und schrittweise weiterzugehen.

Dennoch: Die erste Diskussion mit Ruth Dreifuss war heftig. Sie fand unseren Entschluss, das Gesuch zu bewilligen, voreilig.

Eine Frau und ein Mann sitzen nebeneinander.
Legende: Heidi Diggelmann und Fritz Schiesser erklären 2001 in Bern den Entschluss des SNF zur Stammzellforschung. KEYSTONE / Alessandro della Valle

Sie wurden sowohl vom Departement des Innern wie von der Nationalen Ethikkommission aufgefordert, den Entscheid über die Finanzierung des Gesuchs ein halbes Jahr zu vertagen. Die politische Diskussion sollte Raum bekommen. Doch der SNF wartete nicht. Daraufhin wurde Kritik laut: Die Wissenschaft wolle der Politik ihren Takt aufzwingen. Warum haben Sie nicht gewartet?

Wenn sich eine Seite unter Druck gesetzt fühlt, ist das natürlich nie angenehm. Aber die Forschenden fürchteten, dass die Schweiz in diesem vielversprechenden Forschungsfeld den Anschluss an die internationale Spitze verlieren würde.

Die genauen Bedingungen solcher Forschung auszuhandeln, braucht sehr viel Zeit, Geduld und Verständnis für die Meinung anderer. Es ging dann tatsächlich viel länger – länger auch, als Ruth Dreifuss ursprünglich angenommen hatte. Sie engagierte sich sehr und investierte viel Energie in dieses Geschäft. Bereits nach einem halben Jahr lag der erste Gesetzesentwurf vor.

Der folgende Prozess mit Parlamentsdebatte, Referendum und Abstimmung nahm dann aber noch einmal fast vier Jahre in Anspruch.

Zwei Frauen nebeneinander bei einer Pressekonferenz.
Legende: Heidi Diggelmann (links) und Ruth Dreifuss 2000 bei einer Medienkonferrenz in Bern. Die erste Diskussion über Stammzellforschung mit der Bundesrätin sei heftig gewesen, erinnert sich Diggelmann. KEYSTONE / Juerg Mueller

Wie haben Sie die Auseinandersetzung mit der Bevölkerung erlebt?

Da muss ich den jüngeren Forscherinnen und Forschern ein Kränzchen winden. Viele unserer Studenten und jungen Assistenten haben am Samstagmorgen auf dem Marktplatz Flugblätter verteilt und den Bürgern, die dort ihre Karotten einkauften, erklärt, worum es in dieser Abstimmung geht. Es wurden Open Houses veranstaltet und Institute für das breite Publikum geöffnet.

Ich war sehr beeindruckt, wie sehr sich die jüngere Generation von Forschenden um diese Kontakte kümmerte. Sie stiegen mit Begeisterung in diese Diskussion ein und gaben ihre Freude an der Forschung weiter.

Eine Frau in einem Forschungslabor
Legende: Die Mikrobiologin Marisa Jaconi 2002 in ihrem Genfer Labor: Jaconi hatte mit ihrem Forschungsgesuch eine politische Debatte ausgelöst. KEYSTONE / Gaetan Bally

66% der Stimmenden sollten – vier Jahre nach Eingabe des Genfer Gesuchs – schliesslich Ja sagen zum Stammzellforschungsgesetz. Ihr Einsatz für die Forschung mit embryonalen Stammzellen hat sich gelohnt.

Das war einer meiner glücklichsten Tage. Denn das Wahlresultat zeigt: Wenn man den Kontakt zu den Bürgern findet und sich Zeit nimmt, kann man ein positives Resultat erreichen. Man hat uns zum Beispiel in Deutschland sehr benieden um diesen Erfolg in einer Frage, die so komplex ist und die gleichzeitig so viele Menschen berührt.

Filmhinweis

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Die Westschweizer Produktionsfirma «Films plans fixes» veröffentlicht am 16.11.2018 den Film «Heidi Diggelmann. Le virus de la science». Darin erzählt die Immunologin von ihrem Leben als Wissenschaftlerin.

Heute sind wir zwar viel weniger weit mit der therapeutischen Anwendung der Stammzellforschung, als wir es damals erwartet haben. Aber auch dies ist eine Lehre für Forscher und die Gesellschaft: Wenn wir etwas zu wissen glauben, können wir nie sicher sein, wie stabil dieses Wissen ist. Forschung erreicht eigentlich nie einen Endpunkt. Endgültige Weisheit gibt es nicht.

Das Gespräch führte Katharina Bochsler.

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