Es passiert uns allen: Besuchen wir eine Website, hinterlassen wir Datenspuren. Diese summieren sich zu riesigen Informationsmengen, aus denen Algorithmen fortlaufend Erkenntnisse ziehen. Am meisten profitieren davon stark frequentierte Datensammel-Spezialisten wie Google, Facebook oder Amazon.
Durch stetig wachsende Informationsfülle können sie ihre Produkte besser und besser machen. So nehmen sie in ihrem Bereich eine marktbeherrschende Stellung ein – und bauen sie kontinuierlich aus. Diesen Prozess beschreibt Viktor Mayer-Schönberger in seinem neuesten Buch.
Neue Steuerpflicht gefordert
«Die Grossen, die durch die Marktkonzentration ohnehin schon gross geworden sind, werden durch die Innovationskraft der Daten noch viel grösser», bilanziert der Rechtsprofessor vom Oxford Internet Institute. Die Folge: das Ende des Wettbewerbs.
Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, fordert der Österreicher eine Datensteuer. Damit käme es zu einem Paradigmenwechsel in der Besteuerung. Fortan müssten die Konzerne nicht nur jährlich einen Geldbetrag entrichten, sondern auch eine Datenmenge.
Dieses Bündel an Informationen würde sich an der Marktmacht der Firmen orientieren. Es flösse – in anonymisierter Form – zu Mitbewerbern, sodass nebst den Monopolisten auch Start-ups die Daten verwenden dürften, um mit ihnen wiederum eigene Innovationen zu schaffen.
Staat versus Tech-Gigant
Eintreiben soll die Datensteuer der Staat – ausgerechnet also diejenige Institution, deren Bedeutung das diesjährige World Web Forum mit seinem Motto «End of Nation» infrage stellt.
Viele Teilnehmende an der Veranstaltung in Zürich sind überzeugt, dass die globalen Technologiekonzerne stetig an Einfluss gewinnen, derweil der Staat an Souveränität verliert. Sie diskutieren daher Szenarien für eine Welt, die im Zuge des digitalen Transformationsprozesses dereinst ohne Nationen funktionieren wird.
Meyer-Schönberger teilt diese Meinung nicht. «In den vergangenen Jahren wurde immer wieder vom Ende des Staates gesprochen», sagt er. Doch die Europäische Union etwa sei ein derart grosser Wirtschaftsraum, dass es «sich keiner der grossen Datenkraken leisten kann», hier nicht vertreten zu sein. Wichtig sei einfach, dass die Länder bei der Erhebung der Steuern zusammenarbeiteten, um den Tech-Giganten geschlossen entgegenzutreten.
Im Interesse der Bevölkerung
Die eingeforderten Daten würden auch der Zivilgesellschaft zur Verfügung gestellt. Sie soll genauso aus ihnen Vorteile ziehen wie die Firmen. So könnte man beispielsweise feststellen, an welchen Standorten sich Menschen über die Grippe informieren. Dies würde Aussagen über den weiteren Verlauf der Krankheit ermöglichen. Daten aus Bremssystemen von Autos wiederum würden Rückschlüsse erlauben, welche Strassenabschnitte besonders gefährlich sind.
Gefahr des Missbrauchs
Regulatorische Eingriffe in den Markt dürfen jedoch nicht leichtfertig erfolgen. Gar gefährlich wird es, wenn es sich beim Staat, der die Daten abgreifen und verteilen soll, um ein Unrechtsregime handelt. Ein solches wäre versucht, Informationen über das Nutzerverhalten seiner Bevölkerung zu missbrauchen.
Mayer-Schönberger wiegelt ab: Deswegen auf «Einsicht und Verstehen der Welt» zu verzichten, würde dem Geist der Aufklärung widersprechen und eine zu hohe Konzession gegenüber totalitären Regierungen darstellen.
Daten statt Geld
Alle hier beschriebenen Entwicklungen unterstreichen die zunehmende Bedeutung der Angaben, die wir im Netz hinterlassen. In der Digitalwirtschaft avancieren sie zum wertvollsten Vermögenswert der Unternehmen – und bekleiden diejenige Rolle, die bisher dem Geld zukam.
Mayer-Schönberger ist daher überzeugt: «Daten sind die Währung der Zukunft.» Für ihn steht unsere Lebenswelt vor einem fundamentalen Wandel. Der Finanzkapitalismus werde zu Ende gehen und durch einen Datenkapitalismus ersetzt. Wie heisst es doch auf der Website des World Web Forums: «We all are just data.»
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 17.1.2018, 22.25 Uhr