Einen kleinen Gletscher. Das wollte ich als Kind unbedingt im Garten haben. Leider hatte das Klima im Zürcher Unterland dafür kein Musikgehör. Aber ich gab mein Bestes: Nach jedem Schneefall schaufelte ich den Parkplatz meiner Eltern und sammelte alles auf einem Haufen. So gelang es mir, an bis zu 130 Tagen am Stück winterliches Weiss im Garten zu haben: Nicht wirklich ein Gletscher, aber immerhin.
Später war dies kein Thema mehr. Als Erwachsener ist man schliesslich vernünftig und spricht nicht über solche kindischen Ideen. Nur der Wunsch blieb. Wie wohltuend war es daher, viele Jahre später von den Schotten Adam Watson und Iain Cameron zu erfahren.
Klein aber oho
Die Schotten lieben ihre Berge. Sir Hugh Munro veröffentlichte 1891 eine Liste aller schottischen Berge, welche höher 3000 Fuss (914 Meter) sind. Diese Berge, heute „Munros“ genannt, sind für den Schotten das, was für den Schweizer Alpinisten die 4000-er sind. Nun mag der hiesige Bergsteiger schmunzeln beim Gedanken an die Munros. Der höchste schottische Berg, der Ben Nevis, ist lediglich 1345 Meter hoch. Dem Stolz der Schotten tut dies aber keinen Abbruch. Ihre Berge sind zwar nicht sehr hoch, dafür von wilder Schönheit. Und sie haben, wie ein richtiges Hochgebirge, ewigen Schnee in Form von kleinen Flecken: Nicht wirkliche Gletscher, aber immerhin.
Spurensuche
Der fast permanente Sturm auf den schottischen Bergen verfrachtet jeden Winter riesige Schneemengen. In windgeschützten Stellen lagert sich dieser in mächtigen Schichten ab. Einige dieser Ablagerungen sind so dick, dass Überreste den ganzen Sommer hindurch bis zum nächsten Einschneien überleben.
Dokumentiert werden solche Flecken seit mindestens dem 18. Jahrhundert. Richtig systematisch zu erfassen begann der heute 86-jährige Adam Watson. Der Biologe und passionierte Berggänger sammelte eigene und fremde Beobachtungen und veröffentliche verschiedene Berichte darüber. Mit gleicher Hingabe frönt auch der gut vierzig Jahre jüngere Iain Cameron seinem Hobby. ( http://theiaincameron.tumblr.com ) Mit Gleichgesinnten wandert er jeden Sommer und Herbst die schottischen Berge ab auf der Suche nach Überresten vom letzten Winter. Auch auf Facebook existiert eine Gruppe solcher Schneefreaks. ( https://www.facebook.com/groups/snowpatchesscotland/ )
Dem Klimawandel trotzen
Es gab bisher nur wenige Jahre, wo die schottischen Berge vollständig ausaperten. Interessanterweise zeigen die Schneeflecken ein ähnliches Verhalten wie die Firnfelder am Säntis. Deren Grösse hängt nicht nur von der Temperatur ab. Auch Bewölkung, die Niederschlagsmenge und der Wind haben einen Einfluss. So können die Schotten trotz allgemeiner Erwärmung wohl auch weiterhin ihrem speziellen Hobby frönen. Nur wäre es ihnen sicher lieber, es gäbe eine Abkühlung: Denn wenn sie sich beim Beschrieb eines kleinen Risses im Schneefeld in den Ausdruck „Bergschrund“ versteigen, dann spürt man deutlich den Wunsch, einen richtigen Gletscher zu haben.
Viel bräuchte es nicht
Um ein Haar wäre dieser Wunsch in Erfüllung gegangen: Nach neuesten Erkenntnissen von britischen Forschern existierte in der schottischen Region Cairngorms ein kleiner Gletscher bis ins 17. Jahrhundert. Damals war das Klima deutlich kälter als heute. Würde sich das heutige Klima um 1.5 Grad abkühlen und gleichzeitig 10% mehr Niederschlag fallen, so würden wieder kleine Gletscher die schottischen Berge zieren. Im Moment sieht es zwar nicht nach dieser Entwicklung aus. Sollte sich aber der Golfstrom abschwächen, wie einige Forscher befürchten, dann könnte dies doch noch Realität werden. Im Zürcher Unterland dagegen würde selbst dann der winterliche Schnee im Frühling rasch verschwinden.
Quellen: