Seit fünf Jahren ist Andrea Stadler Stiftungspräsidentin des Frauenhauses Graubünden. Die Einrichtung habe sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Ihr Engagement für das Frauenhaus hat auch mit ihrer eigenen Geschichte zu tun.
SRF News: 30 Jahre Frauenhaus, ursprünglich sollte es die Einrichtung gar nicht so lange geben. Warum?
Andrea Stadler: Die Frauenhäuser sind in der Meinung gegründet worden, dass häusliche Gewalt ein vorübergehendes Phänomen ist. Ein Problem, das aus der Gesellschaft wieder verschwinden werde und die Frauenhäuser dann gar nicht mehr gebraucht würden.
1989 ist das Frauenhaus Graubünden gestartet, wie war man damals aufgestellt?
Man war viel weniger professionell aufgestellt. Damals wurde der Tagdienst unter der Woche mit zwei Personen bestritten. Am Wochenende kamen jeweils Freiwillige, sogenannte Hütefrauen, zum Einsatz. Das hat sich mittlerweile sehr verändert.
Was hat sich in Ihrer Arbeit am meisten verändert?
In den letzten 30 Jahren wurde beispielsweise das Opferhilfegesetz eingeführt. Das hat auch zu einer anderen Finanzierung der Einrichtung geführt.
Die jüngsten Frauen, die zu uns kommen, sind 16 Jahre alt.
Im Allgemeinen sind die Ansprüche an das Frauenhaus deutlich gestiegen; wir haben heute viel mehr unterschiedliche Fälle als damals. Die jüngsten Frauen, die zu uns kommen, sind 16 Jahre alt, die ältesten weit über dem Pensionsalter. Sie kommen aus verschiedenen sozialen Schichten und sprechen nicht alle Deutsch.
Wie gross ist die Hemmschwelle, dass Frauen ins Frauenhaus gehen?
Schaut man die Statistik an, sieht man, dass in der Schweiz jede zweite Woche jemand an den Folgen häuslicher Gewalt stirbt und jede Woche eine Person Opfer einer versuchten Tötung wird. So gesehen müsste man sagen, die Frauen warten zu lange.
Man lässt doch ein ganzes Leben hinter sich.
Die Hemmschwelle ist aber riesig. Man lässt doch ein ganzes Leben hinter sich. Es bedeutet eine Zäsur. Es kommt vor, dass die Kinder die Schule wechseln müssen, dass es eine neue Wohnung an einem andern Ort gibt und es kann sein, dass die Arbeitsstelle gewechselt werden muss.
Andrea Stadler, wieso setzen Sie sich für das Frauenaus ein?
Regelmässig schlage ich die Zeitung auf und lese von einer Tötung im häuslichen Bereich. Das ist ein Punkt, den ich so nicht akzeptieren kann. Dann spielt auch meine persönliche Geschichte eine Rolle. Ich wurde selbst Opfer von häuslicher Gewalt. Ich habe das Gefühl, mich in diesem Bereich besser einfühlen zu können, als mich in anderen Themen zu engagieren.
Das Gespräch führte Silvio Liechti.