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50 Jahre Globuskrawalle «Mich erstaunt, wie die Verhältnisse heute hingenommen werden»

Thomas Held erlebte 1968 die Zeit des Aufbruchs. Heute wundert sich der Soziologe über die herrschende Passivität.

SRF: 50 Jahre sind die Globuskrawalle her – über ihre Rolle damals sprechen Sie nicht so gern. Weshalb?

Thomas Held: Das stimmt nicht ganz. Ich will nicht an den Jubiläen darüber sprechen, weil dann ein Ritualismus herrscht. Ein schwieriger Ansatz, Geschichte zu erklären. Die Medien neigen zum Verkürzen, der Kontext fehlt.

Versuchen wir es trotzdem. Versuchen wir, dem Geist der damaligen Zeit auf die Spur zu kommen.

In dieser Zeit gab es einerseits einen nie gekannten Wohlstand, die Wirtschaft boomte, andererseits herrschte eine Struktur aus Disziplin und Vorschriften aus den Zeiten des kalten Krieges. Es war eine autoritäre Gesellschaft. Die Bewegung war eine anti-autoritäre. Dort liegt der Kern, dort schwingt mit, was heute noch wichtig ist. Die zweite grosse Geschichte war die Frauenbewegung. Nicht auf individueller Ebene, es ging um den Zugang zu normalen Rechten, arbeiten oder abstimmen dürfen. Jahrelang passierte einfach nichts. Daran muss man sich erinnern.

Wir schreiben das Jahr 2018 – braucht es eine solche Bewegung auch heute noch?

Es gibt sie noch, sie hat aber einen viel individualistischeren Charakter, es geht um die Gleichberechtigung aller möglichen Minderheiten, z.B. die Eintragung homosexueller Paare. In meinen Augen war es damals eine fundamentalere Form des Aufbruchs. Aber eine gewisse Fortsetzung ist sicher da.

Es war eine fundamentalere Form des Aufbruchs.
Autor: Thomas Held Soziologe

Hat man denn genug erreicht? Oder sind die Menschen einfach müde geworden, satt?

Man kann einen Verlust von utopischem Denken beklagen, man kann aber auch argumentieren, alle haben alles, alle dürfen alles, deshalb passiert so etwas nicht mehr. Was mich am meisten erstaunt: Die Dinge werden heute so hingenommen, wie sie sind. Studenten zum Beispiel, sie sind so in ihrem System des ETC-Punktesammelns gefangen, die können gar nicht glauben, welche Freiheiten wir damals im Studium hatten. Der Leerlauf heute, die Bürokratie - die nehmen das alles einfach so hin. Da fragt man sich, warum.

Und haben Sie eine Erklärung dafür? Fehlt das historische Wissen?

Das ist vielleicht eine Erklärung. Ich finde aber auch, es ist eine gewisse Naivität vorhanden, wie die Welt oder die Politik funktionieren. Die digitale Welt wird von Heranwachsenden als natürlich erlebt. Sie wird nicht hinterfragt. Es ist wie es ist. Es gibt sehr wenig Ideologiekritik. Was mich auch erstaunt: Auf der Welt passieren schlimme Dinge, der Protest dagegen ist nicht vorhanden. Das ist schwierig nachzuvollziehen.

Auf der Welt passieren schlimme Dinge. Der Protest dagegen fehlt.
Autor: Thomas Held Soziologe

Das Gespräch führte Dorotea Simeon. Es ist in ganzer Länge im Audiofile zu hören.

Thomas Held

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Thomas Held
Legende: Keystone

1968 war der Soziologe und Manager Thomas Held 22 Jahre alt und bei der Studentenbewegung in Zürich ganz vorne mit dabei. Später war er als Forscher und Lehrbeauftragter an den Universitäten Zürich, Wien, Stanford und Berkely tätig, er war Direktor der Denkfabrik Avenir Suisse, schrieb Kolumnen und war unter anderem für den Aufbau der Musikinsel Rheinau verantwortlich.

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