Gerne hätten wir Marie Eve Morf an ihrem Arbeitsort besucht, in der Asylunterkunft Bremgarten. Am liebsten an einem Mittwoch, wenn sie gerade das Café betreut und sich Asylbewerber mit Schweizern dort treffen können. Doch ein Gespräch wäre dort nicht möglich, versichert sie uns. «Wir hätten kaum eine ruhige Minute», erzählt sie. Und am Schluss des Tages? «Da wäre ich nicht mehr wirklich brauchbar.»
Seit zweieinhalb Jahren arbeitet die Seelsorgerin der reformierten Kirche Aargau im Asylzentrum, zusammen mit Jaime Armas, einem weiteren Seelsorger, und mit vielen freiwilligen Helfern. Ihre Aufgaben sind sehr vielfältig.
Manchmal braucht jemand Wolle zum Stricken, oder einfach ein Ohr zum Zuhören - oder eine Schulter zum Drücken.
Es sind nicht nur die kleinen Dinge des Alltags, in denen Morf aushelfen kann. Seelischer Beistand oder die Vorbereitung auf einen ablehnenden Entscheid gehören genau so zu dem, was Marie Eve Morf seit dem Sommer 2013 in Bremgarten tut. Doch einfach nur als Gutmensch sieht sie sich nicht.
Nicht immer nur «lieb und nett»
«Ich bin bekannt dafür, dass ich auch streng sein kann», erklärt sie. Wenn Putzen angesagt ist, kann sie jemandem, der nur herum sitzt, auch einfach den Lappen in die Hände drücken und mit einem klaren «please clean!» zu verstehen geben, um was es jetzt geht. Es sei nicht immer einfach, den richtigen Ton zu treffen. Aber lernen könne man in solchen Situationen immer, auch sie selber.
Einfacher sei es nicht geworden, seit die grosse Flüchtlingswelle auch die Schweiz erfasst hat. Noch mehr Asylbewerber sind seither in Bremgarten, noch mehr Leute auf noch engerem Raum. Das ist nicht immer einfach, und doch staunt Marie Eve Morf immer wieder, wie sich die Leute selbst helfen, bei einfachsten Dingen.
Beidseitiges Lernen
«Einmal weinte ein Junge unablässig. Die Mutter konnte ihn nicht trösten, niemand wusste weiter», erzählt Morf und fügt an, dass sie zum Schluss das Gefühl hatte, der Junge sei wohl etwas verwöhnt. «Zuletzt kam ein Albaner auf den Jungen zu. In der Hand hielt er eine Banane, die er aus seinem Zimmer geholt hatte. Er streckte sie dem Jungen hin, gab ihm einen Kuss und tröstete ihn.»
Marie Eve Morf fragte, warum er das getan habe – ohne den Jungen zu kennen. Der Mann antwortete, dass er ja im selben Zimmer wohne und dass der Junge dadurch doch wie ein Bruder sei. «Da merkte ich, auch ich kann noch was lernen.»
Die Flüchtlingswelle kann Morf übrigens gut verstehen. «Ich war vor 30 Jahren in Burundi, einem der ärmsten afrikanischen Länder», sagt Morf. Dort habe sie reiche Amerikaner getroffen, die dort wohnten und sie zum Essen einluden. Den Einheimischen hingegen ging es bei weitem nicht so gut, ihr war klar, dass diese irgendwann auch mehr am Reichtum teilhaben wollen.
Mir war klar, dass eines Tages die Menschen aus Afrika auch ein Stück des Kuchens der ‹Reichen› haben möchten.
Und nun, so Morf, sind diese Menschen unterwegs zum «Kuchen der Reichen». Für die Seelsorgering ist das alles deshalb sehr verständlich. Nicht zuletzt dank der neuen, guten Kommunikation rund um den Erdball ist genau diese Flüchtlingswelle eine nur allzu logische Folge.
Und was soll man nun tun? Sich abschotten und niemanden mehr herein lassen – oder die Arme ausbreiten und allen helfen? «Etwas dazwischen», meint Morf. Man könne die Träume vieler Asylbewerber nicht erfüllen. Aber: «Das Ziel müsste sein, dass jeder Mensch eine Lebensgrundlage hat», so Marie Eve Morf.
(Regionaljournal Aargau Solothurn, Sonntag 03.01.16, 17:30 Uhr)