Mai 2009: Ein Mann randaliert in seiner Wohnung in Wohlen. Er ist betrunken und hat ein Küchenmesser in der Hand. Seine Frau geht mit dem Kind zu einer Nachbarin und ruft die Polizei an. Sie sagt, sie habe Angst, ihr Mann würde sich selber etwas antun.
Ein Regionalpolizist ist zuerst am Tatort, der Randalierer öffnet kurz die Wohnung. Der Polizist sieht, wie sich der Mann ein Messer an den Hals setzt und so tut, als würde er sich umbringen. Der Polizist zieht seine Waffe und ruft dem Mann zu, er solle das Messer niederlegen. Danach knallt der Mann die Tür zu und verriegelt sie.
Der Regionalpolizist fordert Verstärkung an. Die Kantonspolizei Aargau schickt die Sondereinheit Argus zum Tatort. Der Randalierer hält sich weiterhin in der Wohnung auf. Die Polizei weiss, dass er betrunken ist. Ab und zu zeigt sich der Mann auf dem Balkon.
Zwei Schüsse in den Bauch
Der Einsatzleiter vor Ort gibt den Befehl zum Zugriff. Sechs Argus-Polizisten brechen die Tür auf und stürmen die Wohnung. Als Erster dringt ein Polizist ein, der mit einer Pistole bewaffnet ist. Er begegnet dem Randalierer, der ein kleines Küchenmesser in der Hand hält.
Der Polizist schiesst dem Mann zweimal in den Bauch. Praktisch gleichzeitig feuert ein anderer Polizist seinen Taser ab. Dieses Gerät lähmt Personen kurzzeitig mit einem Elektroschock.
Der Randalierer geht sofort zu Boden. Er ist schwer verletzt. Die Polizisten leisten medizinische Hilfe. Der Mann kommt ins Spital und muss mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Er wird nie mehr arbeitsfähig sein.
Das Verfahren dauert lange
Wie immer bei Schussabgaben von Polizisten eröffnet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren. Dieses wird eingestellt, es gebe keine Hinweise auf ein fehlbares Verhalten der Polizisten, so die Staatsanwaltschaft.
Gegen diese Verfügung wird eine Beschwerde gemacht. Daraufhin geht ein Sonderstaatsanwalt ans Werk. Im Verlauf der Untersuchung stirbt dieser, ein neuer Sonderstaatsanwalt übernimmt die Akten.
In der zweiten Hälfte 2015 kommt es zu Anklage gegen drei Polizisten. Der Vorwurf des Sonderstaatsanwaltes: Der Einsatz der Sondereinheit sei gar nicht nötig gewesen. Es sei die gefährlichste aller möglichen Einsatzformen gewesen. Man hätte auch verhandeln können, zum Beispiel einen Psychiater beiziehen können. Und dem Wunsch des Randalierers, mit seiner Frau zu sprechen, sei nicht entsprochen worden.
Der Sonderstaatsanwalt übt auch heftige Kritik am Einsatz selber. Beim Eindringen in die Wohnung hätte nicht der Polizist mit der Pistole zuvorderst sein dürfen. Als Erster hätte der Polizist mit dem Taser die Wohnung betreten müssen.
Der Sonderstaatsanwalt stellt weiter fest, dass die Sondereinheit falsch ausgerüstet gewesen sei. So hätten die Polizisten keine Schutzschilde oder Schutzmatten mitgeführt. Und der erste Polizist hätte gar nicht schiessen dürfen. Er hätte den Randalierer anders stoppen sollen, nämlich mithilfe seiner Nahkampf-Techniken.
Einsatzleiter, Gruppenleiter und Schütze vor Gericht
Vor Gericht steht nun der Polizist, der mit seiner Pistole auf den Randalierer geschossen hat. Er ist angeklagt wegen versuchter vorsätzlicher Tötung. Auch der Polizist, der die Argus-Gruppe in die Wohnung führte, ist angeklagt. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vorsätzliche schwere Körperverletzung vor. Durch die falsche Reihenfolge der Polizisten habe er eine Verletzung des Randalierers in Kauf genommen.
Ebenfalls angeklagt ist der Einsatzleiter, der selber gar nicht in der Wohnung war. Weil er keine andere Art von Massnahme ausser dem Argus-Einsatz in Betracht gezogen habe, habe auch er die Verletzung des Randalierers in Kauf genommen, heisst es in der Anklageschrift.