Zum Inhalt springen
Enver Fazliji während der Arbeit: Er steht hinter dem Leichenwagen, im Auto sind zwei Särge.
Legende: Enver Fazliji lernte Informations- und Dokumentationsassistent. Seit gut elf Jahren ist er muslimischer Bestatter. SRF

Aargau Solothurn «Bevor ich muslimischer Bestatter war, hatte ich Angst vor Toten»

Der Bellacher Enver Fazliji ist einer von zwei muslimischen Bestattern in der Schweiz. Und er hat immer mehr zu tun: 2015 hatte er 20 Prozent mehr Bestattungen als 2014. Im Interview erklärt Fazliji, warum sein Job bei Muslimen so heikel ist und wieso auch Christen seine Kunden sind.

Nein, mit den Toten hat es Enver Fazliji eigentlich gar nicht. In einer Bibliothek hat er die Lehre gemacht, in Solothurn. Nicht im Traum hätte er daran gedacht, eines Tages Muslime zu bestatten. Und zwar bis zu 200 pro Jahr. Dass ihm dieser Job dereinst den Schlaf rauben würde und dass er dadurch gleichzeitig ein anderer, «besserer Mensch» würde, nein, das hätte er nie gedacht.

Heute arbeitet Enver Fazliji nur noch als muslimischer Bestatter. In Bellach hat er seine eigene Firma, wo auch sein Vater arbeitet. Auch sein Bruder hilft manchmal mit – und seine Mutter. Denn wenn eine Muslima stirbt, darf diese nur durch eine Frau gewaschen werden. Einer von vielen Unterschieden, zwischen einer muslimischen und einer christlichen Beerdigung.

Durch Todesfall zum Beruf gekommen

Doch davon wusste Enver Fazliji anfangs wenig. Bis er 20 Jahre alt wurde, und seine Grossmutter schwer krank. «Ich und meine Familien haben gemerkt, wie schwierig es ist, in der Schweiz alles auf eigene Faust zu organisieren», erklärt der gebürtige Kosovo-Albaner.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen

Enver Fazliji ist Kosovo-Albaner und kam mit sechs Jahren in die Schweiz. In der Zentralbibliothek Solothurn machte er eine Lehre als Informations- und Dokumentationsassistent. Dort arbeitete er noch bis vor einem halben Jahr Teilzeit. Heute ist der 31-Jährige Inhaber und Geschäftsführer der Ahireti AG für muslimische Bestattungen in Bellach.

Denn während ein Muslim 24 Stunden nach dem Tod rituell gewaschen werden müsste und nochmals 24 Stunden später im Grab liegen sollte, dauert das alles bei einer christlichen Beerdigung länger. «Da habe ich mit meinem Vater geredet, ob wir nicht als muslimische Bestatter arbeiten sollten», erzählt Fazliji.

Heikle Situationen

Kein einfaches Unterfangen: In islamischen Ländern kümmert sich die Familie um alles, was mit der Beerdigung zu tun hat. Dass jemand von aussen dabei ist, ein Unbekannter, das ist unüblich. Anfangs – und manchmal auch heute noch – muss Enver Fazliji sehr vorsichtig sein, wenn er als Fremder in die Trauerfamilie kommt.

Immer häufiger wird der muslimische Bestatter angerufen, das Telefon klingelt zu allen Tages- und Nachzeiten. «In der letzten Zeit habe ich selten mehr als vier Stunden geschlafen», erklärt er. Die Arbeit als Bestatter, die Bilder die er sieht, die beschäftigen ihn heute nicht mehr.

Beliebte Schweizer Friedhöfe

Anfangs sei das noch schlimmer gewesen. «Bevor ich muslimischer Bestatter war, hatte ich Angst vor Toten», sagt der heute 31-Jährige. Eben – er habe sich den Beruf nicht wirklich ausgesucht. «Ich glaube sogar, der Beruf hat mich ausgesucht». Reue? Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. «Durch diese Arbeit habe ich das Leben mehr schätzen gelernt.»

Früher wollen viele Schweizer Muslime in der alten Heimat begraben werden. Dadurch gab es viele Überführungen von Muslimen, beispielsweise in den Balkan. Das ändert sich immer mehr, weil Muslime der zweiten und dritten Generation die Schweiz als ihre Heimat ansehen.

Olten ist bei Muslimen bekannt

Der Friedhof von Olten beispielsweise wird immer beliebter bei Muslimen der ganzen Schweiz. Hier dürfen auch Auswärtige begraben werden, was dazu führte, dass innerhalb der letzten anderthalb Jahre neun Personen dort begraben wurden. In den früheren gut elf Jahren waren es gerade mal vier muslimische Begräbnisse.

Enver Fazliji trägt einen Anzug und blaue Handschuhe, er steht in einem Leichenaufbahrungsraum.
Legende: Enver Fazliji's Berufswunsch war nicht der eines Bestatters, denn der 31-Jährge fürchtete sich ursprünglich vor Toten. SRF

Fazliji hat alleine 2016 vier Muslime dort begraben und sagt offen, dass er auswärtigen Muslimen immer wieder Olten vorschlägt, wenn es in der eigenen Region keinen Friedhof mit muslimischem Grabfeld gibt. «Sogar ein Imam aus dem Wallis hat sich in Olten begraben lassen, weil es im Wallis keine Möglichkeit gab», erklärt er.

Auch Christen sind «Kunden»

Auch Christen gehören übrigens zu den Kunden von Enver Fazliji. Man vergesse häufig, dass es auch katholische Kosovo-Albaner oder Mazedonier gebe. Und die wenden sich manchmal lieber an jemanden, der ihre Kultur kennt, als an jemanden, der die gleiche Religion hat. «Die Religion ist hier nicht so wichtig, sondern eher, wie man miteinander umgeht und spricht», findet Fazliji.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 17:30 Uhr

Meistgelesene Artikel