«Berikon» – das ist für viele Sozialdienste im Aargau ein Reizwort. In Berikon verweigerte nämlich vor geraumer Zeit die Gemeinde einem Mann die Sozialhilfe. Sie begründete ihren Entscheid damit, der Mann verhalte sich nicht kooperativ, er wolle keine Arbeit annehmen.
Der Mann klagte bis vor Bundesgericht und bekam Recht. Die Gemeinde hatte ihren Entschluss nämlich nicht sauber begründet und dokumentiert. Wegen dieser Formfehler musste die Gemeinde dann eben doch zahlen.
In Birr hätte sich dieser Fall so nicht oder kaum ereignen können. In dieser Gemeinde leitet seit acht Jahren Dora Deppeler den Sozialdienst. Sie ist studierte Juristin und hat sich stetig im Sozialhilfe-Recht weitergebildet.
Wir dürfen keine Fehler machen
Als Spezialistin für Sozialhilfe weiss sie: Man hat als Gemeinde Spielraum, aber man muss alle Entscheide sehr genau dokumentieren und begründen, damit sie nicht anfechtbar sind. Macht sie zum Beispiel Hausbesuche, geschieht das immer in Begleitung einer zweiten Person, die beobachtet und bei Bedarf Notizen macht.
Und wenn sie Sozialfälle zu Besprechungen einlädt, in denen wichtige Entscheide eröffnet werden, reicht ein einfacher Einladungsbrief nicht. Zuerst geht ein eingeschriebener Brief an den Sozialhilfeempfänger. Kurz darauf folgt der gleiche Brief per A-Post.
Die Erfahrung zeigt nämlich: Kann ein eingeschriebener Brief nicht zugestellt werden, geht er zurück auf die Post. Dort wird er aber oft nicht abgeholt. Ein Brief per A-Post landet aber in jedem Fall im Briefkasten des Empfängers.
So kann die Gemeinde praktisch zu 100 Prozent sicher sein, dass die betreffende Person die Einladung zum Gespräch gesehen hat. Erscheint sie dann nicht zum vereinbarten Termin, kann sie bei einem für sie nachteiligen Entscheid nicht damit argumentieren, man hätte ihr das rechtliche Gehör verweigert.
Es seien viele kleine Dinge, die man beachten müsse, wenn man das Sozialrecht anwendet, sagt Dora Deppeler im Gespräch mit Radio SRF: «Wir dürfen einfach keine Formfehler machen. Deshalb ist professionelles Arbeiten wichtig.»
Kontrolle, kein Luxus
In Birr laufen nicht nur die rechtlichen Prozesse korrekt. Die Gemeinde wendet auch alle Kontrollmöglichkeiten an, die erlaubt sind. Sozialhilfeempfänger haben pro Monat mindestens ein persönliches Gespräch mit dem Sozialdienst. Dabei müssen sie ihre finanzielle Situation jederzeit offenlegen.
Und die Gemeinde bietet auch regelmässig einen Inspektor des Kantons auf, der Hausbesuche macht. Ein Auto steht Bezügern von Sozialhilfe nicht zu. Und die Gemeinde schaut überall auf die Kosten: «Das schnellste Internetabo, das bezahlen wir einfach nicht», sagt Gemeindeschreiber Alexander Klauz.
Professioneller Sozialdienst rentiert
Die Professionaliserung des Sozialdienstes und die Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten machen sich in Birr bezahlt. Heute hat die Gemeinde pro Jahr rund 800'000 Franken Sozialhilfe-Kosten. Noch vor wenigen Jahren lagen diese Kosten knapp über einer Million Franken.
Einen Sozialdienst professionell zu führen heisst aber nicht nur die Kosten möglichst im Griff zu halten. Es bedeutet für die Empfänger von Sozialhilfe auch, dass sie tatsächlich das erhalten, was ihnen von Gesetzes wegen zusteht. Und es bedeutet auch, dass sie respektiert werden.
Gemeinderat Tobias Kull, Ressort Soziales fasst zusammen: «Unsere Aufgabe besteht darin, die Leute gut zu betreuen. Es ist für sie wichtig, Wertschätzung und wieder eine Lebensaufgabe zu finden. Deshalb ist unser Geld gut investiert.»