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Aargau Solothurn «Das wäre eine Katastrophe für uns hier hinten»

Die Zukunft der Bahnlinie Solothurn-Moutier ist unsicher. Seit der Bund über eine Schliessung nachdenkt, kocht die Volksseele im Tal hinter dem Weissenstein. «Dann wären wir endgültig am Arsch der Welt», meint ein junger Welschenrohrer auf der morgendlichen Fahrt ins Mittelland.

Wer morgens um 6:32 Uhr mit der Bahn von Solothurn Richtung Moutier fährt, hat Platz. Viel Platz. Der Zug ist fast leer, wenn er kurz nach Oberdorf in den Weissensteintunnel einfährt und gleich dahinter im solothurnischen Gänsbrunnen anhält.

Lediglich zwei Personen steigen hier um 6:50 Uhr aus. Eine ist Julia Sollberger. Die Solothurnerin arbeitet in Welschenrohr als Kindergärtnerin. Sie ist froh um die Bahn und den Weissensteintunnel. Mit dem Auto müsste sie den viel längeren Weg über Oensingen und Balsthal nehmen. Oder über den Weissenstein fahren, wenn die Passstrasse denn überhaupt offen ist.

Wichtiger Anschluss «nach vorne»

Die Bahnlinie Solothurn-Moutier einstellen? Julia Sollberger ist dagegen, vor allem wegen der Menschen, die in Gänsbrunnen und Welschenrohr zu Hause sind: «Es ist für die Leute dort hinten halt schon wichtig, dass der Zug fährt. Auch wenn es teuer kommt. Sonst ist es für die Leute sehr schwierig, Anschluss nach vorne zu haben».

Die «Leute dort hinten» kommen um 6:57 Uhr in Gänsbrunnen an. Das Postauto hat sie in ihren Dörfern eingesammelt und bringt sie zum Bahnhof. Geschätzte 50 Personen steigen aus: Berufspendler, Kantonsschüler, Lehrlinge. Im Morgennebel warten sie auf dem Perron, dass die Bahn kommt, die sie nach Solothurn bringt.

Milliarden für Zürich – nichts für die Randregionen?

Einer der Wartenden ist Heinz Gribi aus Welschenrohr. Er arbeitet bei der Synthes. Beim Thema Moutier-Bähnli kommt er in Fahrt: «Die Schliessung wäre für uns hier hinten eine Katastrophe. Dann müssten wir das Auto nehmen. Und vier Monate lang kommt man ja gar nicht über den Berg. Uns scheisst vor allem an, dass man Milliarden investiert, damit man auf der Strecke Zürich-Bern drei Minuten einspart, und die Randregionen vernachlässigt man einfach».

Dass der Bund über eine Schliessung der Bahnlinie nachdenkt, kann Heinz Gribi nicht verstehen. Zu den Stosszeiten sei der Zug jedenfalls immer voll. Und tagsüber habe es bald auch wieder mehr Passagiere, hofft der Welschenrohrer. Sobald die Seilbahn von Oberdorf auf den Weissenstein wieder fahre, kämen wieder Wanderer mit dem Zug zur Talstation.

Um 7:06 fährt der Zug in Gänsbrunnen ein. Die rund 50 Pendler steigen ein. Tatsächlich sind die Abteile gut gefüllt. In jedem sitzen mindestens 2 oder 3 Personen. Vier Schüler aus Welschenrohrer sagen, sie seien auf den Zug angewiesen. Wieviel die Sanierung des Weissensteintunnels kostet, haben sie noch nicht mitbekommen. «170 Millionen? Shit – das ist ja schon eine rechte Summe…».

170 Millionen für die Tunnel-Sanierung

Im jetzigen Zustand könne der Tunnel nur noch bis Ende 2016 offen bleiben, sagt Olivia Ebinger. Die Sprecherin des Bundesamts für Verkehr bestätigt auf Anfrage des Regionaljournals Aargau Solothurn, dass der Bund derzeit von Kosten in der Höhe von 170 Millionen Franken ausgeht, um den 1908 fertig gestellten Tunnel zu sanieren. Von oben dringt Wasser in den Tunnel ein und macht das Gewölbe kaputt.

Weil die Strecke Solothurn-Moutier höchst defizitär ist, denkt der Bund darüber nach, den Tunnel nicht zu sanieren und die Bahnlinie einzustellen. Entschieden sei aber noch nichts, betont Olivia Ebinger. Zuerst müssten Gespräche mit den Kantonen Solothurn und Bern geführt werden.

Solothurner müssten Defizit mittragen

Es ist durchaus möglich, dass der Bund den Tunnel trotz der hohen Kosten saniert. In diesem Fall muss der Kanton Solothurn aber ein klares Bekenntnis abgeben: «Der Kanton muss bereit sein, auch in Zukunft den Betrieb auf dieser Strecke zu garantieren und die Defizite mitzufinanzieren», so Ebinger.

Die Frage ist also letztlich: Was ist es dem Kanton Solothurn Wert, dass die Menschen im Oberen Thal auch künftig zügig ins Mittelland kommen? Wieviele Millionen sind die Solothurner Steuerzahler bereit zu zahlen, damit sich die ländliche Gegend hinter dem Weissenstein nicht noch mehr entvölkert und die Jungen nach Oensingen oder Zürich ziehen?

«Es lohnt sich, aber nicht finanziell»

Auch der Zug, der Solothurn um 7:32 Uhr verlässt, ist fast menschenleer, als er durch den Weissensteintunnel fährt. Einer der wenigen Passagiere ist Mirko Schärer. Dem Unternehmer gehören Aluminiumgiessereien in Turgi/AG, Bettlach/SO und Moutier/BE.

Als Firmenboss schaut Mirko Schärer aufs Geld. Trotzdem findet er, die Investition von 170 Millionen Franken für die Sanierung des Weissensteintunnels lohne sich: «Finanziell vielleicht nicht. Aber es geht hier ja um mehr. Es geht darum, zwei Regionen zu verbinden. Das ist eine sinnvolle Sache».

(Regionaljournal Aargau Solothurn, 17:30 Uhr)

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