Nur zwei Sitze trennen SVP und FDP momentan von der absoluten Mehrheit im Grossen Rat des Aargaus. Leichte Gewinne in der Wahl vom 23. Oktober und die beiden Parteien hätten 71 Sitze oder mehr. Prognosen deuten darauf hin, dass dieses Szenario eintreten könnte, zum Beispiel die Berechnungen von Politikbeobachter Max Knecht .
Eine Mehrheit von FDP und SVP – das wäre tatsächlich ein Horrorszenario.
Cédric Wermuth, Co-Präisident der SP Aargau, hätte gar keine Freude an einer Übermacht von SVP und FDP. Er sitzt für die SP im Nationalrat. Und dort eroberten die beiden bürgerlichen Parteien bei der Wahl 2015 die absolute Mehrheit.
Die Diskussionen in Bern würden einen Vorgeschmack auf das politische Klima im Aarau liefern, ist Wermuth überzeugt: «Ich erlebe in Bern, dass Bildung, Soziales und Gesundheit massiv Schaden nehmen, zugunsten von Steuergeschenken für die Reichen. Diese Arroganz wäre auch für den Aargau neu.»
CVP bleibt gelassen
Weniger auf Panik macht Marianne Binder. Sie ist Präsidentin der CVP Aargau und selber Grossrätin. Häufig ist die CVP das Zünglein an der Waage bei Abstimmungen im Grossen Rat. Wäre diese Rolle gefährdet bei einer absoluten Mehrheit von SVP und FDP?
«Bei Radikalismus-Fragen haben wir mit der SVP gestimmt. Die FDP hat sich in gewissen Fragen mit der Linken zusammengetan. Es gibt immer wieder andere Mehrheiten. Da würde sich nicht so viel verändern», sagt Binder.
Sie weist aber darauf hin, dass es Vorlagen wie das Kinderbetreuungs-Gesetz in einem von SVP und FDP dominierten Grossen Rat schwer hätten in Zukunft. Und sie rechnet auch damit, dass zum Beispiel die Integrative Schulung in einer nächsten Legislatur abgeschafft weden könnte, weil SVP und FDP grosse Kritiker dieser Schulform seien.
Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, um die Auswirkungen einer absoluten Mehrheit zweiter Parteien im Kantonsparlament abschätzen zu können. Von 2001 bis 2005 hatten FDP und SVP eine satte Mehrheit, nämlich 112 von (damals noch) 200 Sitzen.
War es für die rechtsbürgerliche Seite damals eine paradiesische Zeit? Konnten sie die kantonale Politik nach Belieben steuern? Fragt man heutige Grossräte, die auch schon 2001 bis 2005 in der Politik waren, fallen die Antworten durchzogen aus. Eine eindeutige Bilanz zu ziehen, ist schwierig.
FDP auf Distanz zur SVP
Vreni Friker-Kaspar, seit 2001 im Grossen Rat für die SVP, erinnert sich gern an diese Zeit zurück. Man habe gut mit der FDP politisieren können, besser als heute, sagt die Politikerin. Aber es sei auch damals nicht ohne Diskussionen gegangen.
Grossrat Herbert H. Scholl politisiert seit 1981 im Grossen Rat für die FDP. Er ist der dienstälteste Grossrat des Aargaus. Er erinnert sich lebhaft an die Zeit der absoluten Mehrheit, allerdings sind es nicht nur gute Erinnerungen. Ja, man habe in der Finanz- und Steuerpolitik eine gemeinsame Linie gehabt und Vorlagen durchbringen können.
Rein bürgerliche Mehrheiten führen in Volksabstimmungen nicht immer zum Erfolg.
Aber gleichzeitig seien auch immer wieder die Fetzen geflogen: «Die SVP war damals im Höhenflug und wollte ihre neue Machtposition ausnützen. Sie traf aber auf eine FDP, die ihre Meinung damals wie heute selber bildete. Wenn dann Differenzen entstanden, gab es rote Köpfe, wahrscheinlich mehr bei der SVP als bei uns.»
Dem Powerplay von SVP und FDP schaute damals Theo Voegtli zu. 1997 kam er für die CVP in den Grossen Rat. Ende 2016 verlässt er ihn. Die Zeit von 2001 bis 2005 wünscht er sich nicht zurück: «Es war eine unangenehme Situation. Kompromisse waren schwer möglich. Das Diktat der Macht hat gute Lösungen verhindert.»
Das Volk kann korrigeren
Fazit: Eine absolute Mehrheit von FDP und SVP muss nicht heissen, dass die kantonale Politik nur noch von diesen zwei Parteien bestimmt wird. Insbesondere die FDP wird gut daran tun, sich nicht zu stark ins Fahrwasser der SVP zu begeben.
Wie sagt es doch Herbert H. Scholl, Grossrat der FDP? «Wenn wir in allen Fragen einige wären, dann könnte wir ja gleich fusionieren. Es ist gut, wenn wir im Herbst zulegen. Aber die politischen Lösungen müssen trotzdem breit abgestützt sein. Wir müssen auch bedenken, dass rein bürgerliche Lösungen in Volksabstimmungen nicht immer zum Erfolg führen.»
(Regionaljournal Aargau Solothurn, 17.30 Uhr, ulrs)