«Als ich als Pfarrer nach Solothurn kam, war ich schon etwas verwundert über diesen Brauch», erklärt Paul Rutz, Stadtpfarrer der katholischen Kirche in der St. Ursenkathedrale in Solothurn. Denn das 19-minütige Geläut hat seinen Ursprung in der Landwirtschaft und nicht in der katholischen Kirche.
Als ich als Pfarrer nach Solothurn kam, war ich schon etwas verwundert über diesen Brauch
Um die Eisheiligen zu besänftigen, welche vom 11. bis am 15. Mai dauern, läuten alle elf Glocken der St. Ursenkathedrale gleichzeitig. Dieser Brauch nennt sich «Über den Reif läuten». Und dieses Glockengeläute dauert genau 19 Minuten. «Ich habe so einen Brauch eigentlich eher in einem Dorf oder in einer ländlichen Gegend erwartet, aber nicht in der Stadt Solothurn. Und erst recht nicht in der Stadtkirche.»
Aberglaube und Glaube
Mittlerweile gefällt Paul Rutz dieser Brauch, und auch das Glockengeläut findet er schön. Dass die Glocken der Kathedrale nicht für einen kirchlichen Anlass läuten, stört ihn nicht. Auch die Tatsache, dass die Kirche hier im Zusammenhang mit einem Aberglauben die Glocken läuten lässt, sei nichts Schlimmes. «Aberglauben und Glauben liegen ja auch nahe beieinander.»
Damit alle elf Glocken gleichzeitig läuten können, dafür brauchte es früher elf starke Männer, die an den Seilen zogen. Heute reicht der Knopfdruck mit einem Finger. Domsakristan Bruno Emmenegger kann heute jede einzelne Glocke auf seinem portablen Computer bequem von zu Hause aus steuern. Dazu braucht er nur Internetempfang.
Computergesteuerte und handbetriebene Glocken
«Viele Glockengeläute sind heutzutage zudem bereits gespeichert in einem Programm und werden von alleine abgespielt», erklärt der Domsakristan. Und doch muss Emmenegger noch einmal am Tag an einem Seil ziehen, um Glocken erklingen zu lassen. «In der Jesuitenkirche, welche zur katholischen Kirchgemeinde gehört, funktionieren alle drei Glocken immer noch im Handbetrieb.» So komme er doch nicht ganz aus der Übung, erklärt der Sakristan.
Das lange Glockengeläut hat früher hie und da zu Reklamationen geführt. Anwohner der Kirche oder Gäste des nahe gelegenen Restaurants Krone haben sich früher einmal beschwert. Mittlerweile gebe es aber mehr positive Reaktionen als negative, resümiert Domsakristan Bruno Emmenegger. «Man muss aber auch sagen, dass wir heute weniger häufig die Glocken läuten lassen als noch vor zehn Jahren.»
Was dieses intensive Läuten im Kampf gegen den Frost und den Reif wirklich bringt, ist ungewiss. Und auch Stadtpfarrer Paul Rutz ist skeptisch. Aber: «Ich habe das Vertrauen, dass wir beschützt werden. Aber ich glaube nicht, dass Gott unmittelbar eingreift und auf die Bremse tritt, damit der Reif nicht kommt.»
Noch bis am 15. Mai läuten die Glocken jeweils von 19.00 bis 19.19 Uhr. Dann verabschiedet sich mit Sophie die letzte der fünf Eisheiligen. Zumindest für dieses Jahr.