SRF: Christian Schwick. Zersiedelung gilt als Unwort. Auch sie kämpfen mit Ihrer Arbeit gegen Zersiedelung. Provokativ gefragt – weshalb ist Zersiedelung schlecht?
Christian Schwick: Zersiedelung ist nicht nur schlecht, aber sie hat diverse negative Aspekte. Zum Beispiel die Infrastruktur ist viel teurer zu erhalten, es gibt viel mehr privaten Verkehr als öffentlichen, da man keine genügende Dichte hat, und man verbraucht wertvolles Kulturland.
Wie funktioniert die Formel, die Sie entwickelt haben? Wie messen Sie Zersiedelung?
Mit drei Komponenten. Erstens: Die Ausdehnung der Siedlungsfläche, also je mehr Siedlungfläche, desto mehr Zersiedelung. Zweitens: Die Streuung der Siedlung, also gibt ist ein kompaktes Dorf, oder sind die Häuser weit auseinander verteilt. Drittens: Die Ausnützung der Siedlungsfläche, also je mehr Menschen auf einer Fläche wohnen, desto weniger Zersiedelung.
Stark bebaute Städte wie Zürich und Basel haben Ihrer Analyse zufolge einen niedrigen Zersiedelungsgrad, während das Mittelland, wo es mehr Grünflächen gibt, einen hohen Zersiedelungsgrad aufweist. Weshalb?
Hier muss man wirklich unterscheiden zwischen besiedelt und zersiedelt. Und bei der Zersiedelung gelten wirklich die drei vorher beschriebenen Faktoren. Die grossen Schweizer Städte sind dicht bebaut, deshalb sind sie wenig zersiedelt.
Sie haben in der «NZZ» dargelegt, dass die Mittellandkantone stark zersiedelt sind. Wo ist denn innerhalb der Kantone Aargau und Solothurn der Zersiedelungsgrad besonders hoch?
Generell für praktisch alle Kantone gilt: Zersiedelt sind primär die fruchtbarsten, flachen Gebiete den Talböden und Flüssen entlang. Diese Gebiete geben die besten Voraussetzungen, um sie zu bebauen. In den Kantonen Aargau und Solothurn spielt zudem ganz stark die geografische Lage mit. Sie befinden sich sehr zentral, nahe an den grossen Zentren, die Autobahn führt hindurch, die wichtige Ost-West-Zugverbinden. Dadurch sind hier beispielsweise zahlreiche Verteilzentren und Einkaufszentren entstanden. Ein weitere Faktor ist, dass die Kantone Aargau und Solothurn nicht ein einziges grosses Zentrum haben, wie zum Beispiel der Kanton Zürich mit der Stadt Zürich. Sie haben verschiedene kleinere Zentren, und das führt auch zu einer grösseren Zersiedelung.
Auch andere Schweizer Kantone haben keine grosse Stadt, auch andere Schweizer Kantone sind Pendlerkantone…
Hier spielt auch die Raumplanung mit. Die Kantone haben dieser je nachdem früher oder später ihre Aufmerksamkeit geschenkt. In den Kantonen Aargau und Solothurn war dies wahrscheinlich eher später der Fall. Heute haben die Kantone mehr Instrumente in der Raumplanung. Im Kanton Aargau zum Beispiel sind kürzlich Bauzone rückgezont worden. Das lief erstaunlich gut, und stimmt mich zuversichtlich.
Die Bevölkerungsprognosen des Bundes zeigen, dass die Bevölkerung in der Schweiz weiter wachsen wird. Wo in den Kantonen Aargau und Solothurn sollen diese Menschen leben?
Am besten ist, wenn man Baulücken füllt oder am Rand von bestehenden Siedlungen baut, aber sicher nicht auf der grünen Wiese. Wir haben diesbezüglich diverse Szenarien berechnet. Mit dem Maximumszenario des Bundesamtes für Statistik haben wir ausgerechnet, dass man den Wohnraum in der Schweiz um 20 Prozent verdichten müsste innerhalb der nächsten 50 Jahre. Das ist eine massvolle Verdichtung und das heisst niemals, dass man ein Hochhaus bauen müsste in einem Dorf. Das heisst, dass man anstatt vier Einfamilienhäuser auf einer Parzelle fünf bauen müsste. Mit dieser Massnahme kann die Schweiz das Bevölkerungswachstum schlucken, ohne zusätzliche Siedlungsflächen in Anspruch zu nehmen.
Welche Möglichkeiten, die Zersiedelung einzudämmen, sehen Sie sonst noch?
Man könnte Grenzwerte für die Zersiedelung einführen. Erreicht eine Gemeinde ihren definierten Grenzwert, dürfte sie Neubauten nur noch so machen, dass der Grenzwert nicht überschritten wird.
Sie möchten also die Zersiedlung stoppen mit der Einführung neuer Gesetze?
Das müsste nicht unbedingt auf gesetzlicher Basis sein. Es könnte auch freiwillig passieren, indem sich eine Gemeinde freiwillig zu dieser Idee bekennt. Natürlich könnte aber ein Kanton diese Grenzwerte auf gesetzlicher Basis einführen, dann müssten sich die Gemeinden entsprechend daran halten. Das ist aber eine politische Diskussion, wir Geografen können diese Idee nur aufwerfen.
Eine Idee, die in gewissen politischen Kreisen einen schweren Stand haben dürfte…
Jein. Denn sie hat einen gewissen Vorteil im Vergleich zu bestehenden Regelungen. Denn es handelt sich nicht um einen Siedlungsflächen-Stopp, oder eine Vorgabe, wieviel man verdichten muss, sondern die Idee besagt lediglich, dass man die Zersiedelung stoppen muss. Wie man das macht, wäre jeder Gemeinde selber überlassen. Von daher ist es kein starres Korsett.
(Das Gespräch führte Wilma Hahn)