Um 19.20 Uhr mussten zusätzliche Stühle hineingetragen werden. Der Scintilla-Saal drohte zu platzen. Hunderte drängten an die Gemeindeversammlung. Zu diesem Zeitpunkt konnte Gemeindepräsident Stefan Hug noch lachen: «Die nächste GV machen wir in der Eishalle. Dort haben 4000 Leute Platz», scherzte er.
577 Stimmberechtigte und etliche Zaungäste waren gekommen. Das ist auch in Zuchwil mit seinen fast 9000 Einwohnern aussergewöhnlich. Viele mussten die Versammlung stehend verfolgen. Der gewaltige Aufmarsch zeigte, wie umstritten der geplante Verkauf des Widi-Areals in Zuchwil ist. Und es sollte tatsächlich noch ein turbulenter Abend werden.
Millionen-Deal für die Zukunft Zuchwils
Das «Widi» liegt zwischen dem ehemaligen Sulzer-Areal und der Aare. Es ist unter anderem die Heimat des FC Zuchwil, der sich von dort nicht vertreiben lassen will. Der Gemeinderat möchte das «Widi» allerdings für 6,6 Millionen Franken der Immobilienfirma Swiss Prime Site verkaufen.
Gemeindepräsident Stefan Hug lobte an der Gemeindeversammlung das grosse Potential des gesamten Areals. Das Engagement der Schweizer Immobilien-Firma sei ein Glücksfall, die finanziell nicht auf Rosen gebettete Vorortsgemeinde Zuchwil dürfe mit zusätzlichen Steuernzahlern rechnen.
Der vermeintliche Sieg der Fussballer
Den Gegnern des Landverkaufs ging das alles zu schnell. «Ich muss mehr wissen» und «Unkoordiniertes Wachstum birgt Gefahren» war an der Versammlung beispielsweise zu hören. Kritisiert wurde, dass das wegweisende Geschäft erst vor wenigen Wochen bekannt wurde. Man sei in der kurzen Zeit nicht richtig und nicht umfassend genug informiert worden.
Mit 276 zu 247 Stimmen beschloss die Gemeindeversammlung dann, auf das Geschäft gar nicht einzutreten. «Das Geschäft ist vom Tisch», stellte Gemeindepräsident Hug nüchtern fest. Die Versammlung applaudierte, der FC jubelte. Und tatsächlich schien der Abend gelaufen. Schien...
Als viele schon gegangen sind...
Nachdem noch weitere Traktanden behandelt wurden, stellte ganz zum Schluss der Versammlung Vize-Gemeindepräsident Daniel Grolimund einen Rückkommensantrag. Zu diesem Zeitpunkt hatten aber 140 Stimmberechtigte die Versammlung bereits verlassen.
In der Folge wurde die zuvor sachliche Gemeindeversammlung doch noch turbulent. Die einen fragten: Ist ein Rückkommen auf den Widi-Verkauf demokratisch, wenn viele schon nach Hause gegangen sind? Andere entgegneten: Es ist auch nicht demokratisch, nur für ein einziges Geschäft an die Gemeindeversammlung zu kommen und in der Pause einfach zu gehen.
...wird der Entscheid noch umgestossen
Es war 22:30 Uhr, als nach einigen Diskussionen und Ordnungsanträgen 222 gegen 182 Zuchwiler beschlossen, auf den Landverkauf zurückzukommen. «Der Gemeinderat ist wieder im Geschäft», freute sich Gemeindepräsident Stefan Hug, während zahlreiche Unterlegene aus Protest den Saal verliessen.
Sie haben nicht mehr mitbekommen, was die mittlerweile arg dezimierte Versammlung ganz zum Schluss entschied: Der Widi-Verkauf wird an den Gemeinderat zurückgewiesen. Dieser muss über die Bücher. Der Entscheid fiel mit grossem Mehr, das zu später Stunde allerdings nicht mehr ausgezählt wurde.
«Demokratie» - «Verarschung»
«Heute Abend wurden die demokratischen Rechte wahrscheinlich bis zum Letzten ausgenutzt», kommentierte Gemeindepräsident Hug das Resultat gegenüber Radio SRF.
Und zur Frage, ob es nicht heikel ist, auf ein Geschäft zurückzukommen, wenn 140 Stimmbürger schon nach Hause gegangen sind: «Die Regeln, wie eine Gemeindeversammlung abläuft, sind bekannt».
Das dürften nicht alle so sehen. «Ich fühle mich verarscht», machte ein junger Zuchwiler nach dem Hin- und Her seinem Ärger Luft. Das Dorf beibt gespalten. Die turbulenten Zeiten sind noch nicht vorbei.
Regionaljournal Aargau Solothurn, 6:32 Uhr, jagm