Es ist der Traum vieler Schweizer Volleyballspieler: Eine Profi-Karriere in einer internationalen Top-Liga. Reto Giger aus Aarau lebt diesen Traum seit einem guten halben Jahr, er spielt in der höchsten polnischen Liga bei Cerrad Czarni Radom. Nicht nur seinem Team läuft es diese Saison sehr gut, auch er persönlich kann gut mithalten in der polnischen Top-Liga, wo Volleyball einen ganz anderen Stellenwert hat als in der Schweiz.
SRF: Seit einem halben Jahr spielen Sie als Profi in der polnischen Liga, was für viele Spieler ein Traum ist. Wie haben Sie sich eingelebt in dieser Top-Liga?
Reto Giger: Ich wurde sehr gut aufgenommen, habe einen sehr guten Verein, der sich um alles kümmert. Als Spieler wird man hier voll umsorgt und auch die Stimmung im Team selber ist sehr gut.
Sie haben Ihre Karriere beim BTV Aarau begonnen, waren dann bei Volley Schönewerd und Näfels engagiert. Sie kennen die Schweizer Volleyballwelt also ziemlich gut. Was für Unterschiede haben Sie in Polen erlebt?
Schon in den Vorbereitungsspielen hat man gemerkt, was Volleyball hier bedeutet. Hier sind zum Teil schon 1500 bis 2000 Leute gekommen. Das Interesse ist generell viel höher am Volleyballsport, auch weil Polen letztes Jahr zum zweiten Mal Weltmeister geworden ist. Es hat Fotografen und Medienvertreter an jedem Spiel, man gibt als Spieler Autogramme und fühlt sich ein bisschen wie ein Fussballer in der Schweiz.
Und wie erleben Sie den Unterschied auf der sportlichen Ebene?
Das Niveau ist klar besser, es hat viel mehr Stars und grosse Namen in der Liga. Auch die Betreuung ist besser, man hat nonstop einen Physiotherapeuten, den man jederzeit konsultieren kann, man hat ärztliche Kontrollen und auch einen Ernährungscoach. Das ganze Umfeld ist einiges professioneller und so kann man sich als Sportler voll auf den Sport konzentrieren, alles andere wird einem abgenommen.
Das klingt sehr angenehm, erhöht aber sicher auch den Druck auf Sie als Sportler?
Das merkt man klar. Wenn man zum Beispiel ein Spiel verliert, das man nicht verlieren sollte, dann gibt es Ansprachen des Präsidenten und der Sponsoren, dann gibt es Druck. Auch die Erwartungshaltung der Fans und des Trainers ist viel grösser. Es wird gnadenlos die Leistung gefordert von den Spielern, was aber auch verständlich ist, da man ja auch mehr verdient und es mehr Interesse am Sport gibt. An den Druck habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
In der Schweiz haben Sie zu den besten Volleyballspielern gehört. Nach dem Wechsel nach Polen bewegen Sie sich wegen der stärkeren Konkurrenz irgendwo im Mittelfeld. War diese Umstellung schwierig?
Mir war das höhere Niveau bewusst im Vorfeld, da ich ja auch in der Schweiz schon Europacup gespielt habe. Am Anfang musste ich mich zwei bis drei Wochen daran gewöhnen, da alles schneller und höher ist als im Schweizer Volleyball. Weil man aber täglich auf diesem Niveau trainieren und spielen kann, gewöhnt man sich daran. Mittlerweile denke ich, dass ich auf dem Feld schon ganz gut mithalten kann.
Gewöhnen mussten Sie sich auch an eine neue Rolle: In der Schweiz waren Sie jeweils Stammspieler, in Polen sind Sie ein Joker und erhalten nicht mehr so viel Einsatzzeit wie in der Schweiz.
Ich kenne das schon vom Anfang meiner Karriere. Als ich von Aarau zu Schönenwerd in die höchste Liga gewechselt habe, sass ich auch häufiger auf der Bank. Ich habe mich in Polen aber auch ganz bewusst darauf eingestellt. Ich wusste, dass ich hier zweiter Passeur sein werde und wollte die Chancen, die ich erhalte, nutzen. Ich habe dann auch regelmässig Einsatzzeit bekommen und gute Leistungen zeigen können, so dass Trainer und Verein zufrieden waren.
Sie sind Passeur, also der Spielmacher beim Volleyball. Auf dieser Position braucht es viel Kommunikation mit den Teamkollegen. Wie funktioniert das im neuen Umfeld im Ausland?
Ich habe gemerkt, dass es viele ungeschriebenen Regeln im Volleyball gibt, die überall etwa gleich sind. Man findet sich in der Vorbereitungszeit auch ziemlich schnell, da man viel und hart miteinander trainiert. Es ist hier in Polen auch etwas einfacher, weil die Angreifer ein sehr hohes technisches Niveau haben, da kann ein Pass auch mal etwas krummer sein und sie machen trotzdem etwas Gutes daraus. Diese technische Stärke macht viel Spass als Passeur, weil man auch mal neue Dinge ausprobieren kann.
Sportlich gesehen geht in der polnischen Liga für Sie also ein Traum in Erfüllung. Der Wechsel ins Ausland ist aber auch privat immer eine Herausforderung. Wie haben Sie sich privat eingelebt, weit weg von Familie und Freunden?
Es ein sehr angenehmes Leben, man hat viel Zeit für alles mögliche neben dem Sport. Der grosse Nachteil ist tatsächlich, dass Kollegen, Familie und auch die Freundin fehlen. Man versucht sich natürlich dann und wann zu sehen mit Besuchen. Zum Glück weiss meine Freundin, wie viel mir das bedeutet und ist sehr tolerant, somit konnten wir das gut arrangieren. Aber natürlich vermisst man die Familie. Hier ist man halt nonstop auch in der Freizeit mit dem Team unterwegs, das ist nicht ganz einfach, gehört aber dazu. Ich habe nun dafür im Sommer nach Saisonabschluss viel mehr Zeit für Freundin, Familie und Kollegen.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus mit all diesen Erfahrungen aus Polen. Bleiben Sie als Profi hier oder geht es noch weiter?
Ich probiere wahrscheinlich eine weitere Saison im Ausland zu spielen, da ich gemerkt habe, dass es möglich ist. Welche Liga in welchem Land ist noch nicht klar, die Verhandlungen dazu laufen langsam an. Nach einem weiteren Jahr schaue ich dann weiter, ob ich mein Leben noch komplett auf Volleyball-Profi umstelle für die nächsten Jahre, oder ob ich zurück komme und wieder im IT-Bereich arbeite und nebenher Volleyball spiele.
Das Gespräch führte Stefan Brand