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Menschenrechte und Wirtschaft Die Schweiz ist kein Sonderfall

Auch andere Länder fordern von Konzernen, dass sie Menschenrechte und Umweltstandards in der Lieferkette respektieren.

In England befasst sich aktuell der oberste Gerichtshof, der Supreme Court, mit der Umweltverschmutzung in Sambia durch eine Tochtergesellschaft des britischen Konzerns Vedanta.

Konzern und Tochtergesellschaft wollten den Prozess nach Sambia verlagern, doch der Supreme Court lehnte das ab: «Die Kläger haben in Sambia keinen Zugang zum Recht, weshalb der Prozess gegen Mutter- und Tochtergesellschaft in England stattfinden muss», entschieden die Richter.

Konzerne in die Verantwortung nehmen – das ist nicht nur in der Schweiz, sondern europaweit brandaktuell.

In Frankreich müssen Unternehmen mit über 5000 Angestellten zeigen, wie sie Umweltverschmutzung, Menschenrechtsverletzungen und Korruption in der Lieferkette vorbeugen. Bei Verstössen droht eine Busse bis 10 Mio. Euro.

In Grossbritannien müssen Unternehmen mit weltweit mehr als 40 Millionen Franken Umsatz jährlich zeigen, wie sie gegen Menschenhandel und Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette vorgehen. Sanktionen gibt es keine.

In den Niederlanden tritt ein Gesetz in Kraft, wonach jedes Unternehmen, das Waren oder Dienstleistungen in die Niederlande verkauft, zeigen muss, ob in seiner Lieferkette Kinderarbeit vorkommt. Bei Verstössen gegen dieses Gesetz drohen Bussen oder Gefängnis.

Deutschland diskutiert ein Gesetz, wonach Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten nachweisen müssten, dass sie in ihrer Lieferkette Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten. Bei Verstössen sollen die deutschen Konzerne haften.

Die EU plant ein ähnliches Gesetz. Und: Ab 2021 müssen EU-Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram und Gold veröffentlichen, ob diese Materialien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten stammen. Bei Verstössen drohen Bussen.

Erste Klage in Frankreich

In Frankreich haben Nichtregierungsorganisationen den Mineralölkonzern Total verklagt wegen eines Projekts in Uganda.

Es ist der erste Fall, seit in Frankreich vor drei Jahren ein Gesetz in Kraft getreten ist, das multinationalen Konzernen besondere Sorgfaltspflichten auferlegt zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten.

Nun folgt möglicherweise die Schweiz.

Maestrani ist bekannt für Minor- und Munz-«Schoggi-Stängeli», die es an jedem Kiosk gibt. Weniger bekannt: Alle Produkte des Unternehmens haben ein Nachhaltigkeitssiegel von UTZ oder Max Havelaar.

Schon vor 30 Jahren hat Maestrani angefangen, auf Bio und Fairtrade zu setzen – und stand damit lange allein.

«Als ich vor 14 Jahren in das Unternehmen gekommen bin, hat man uns im Detailhandel belächelt und gesagt: Das wird nie etwas Grosses», sagt Maestrani-Geschäftsführer Markus Vettiger.

Heute sieht es anders aus. Konsumenten kaufen bewusster ein. Die Konzernverantwortungsinitiative könnte Gütesiegel-Organisationen wie Max Havelaar zusätzlichen Auftrieb geben.

Denn sollte die Initiative angenommen werden, müssten Schweizer Konzerne sicherstellen, dass in ihren Lieferketten internationale Standards zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt respektiert werden. Auch im Ausland.

Selbst Max Havelaar stösst an Grenzen

Sollten sie dies nicht tun – und käme es gleichzeitig zu Verstössen gegen diese Standards –, könnten Schweizer Konzerne zur Verantwortung gezogen werden, sofern sie die verantwortliche Firma im Ausland rechtlich oder wirtschaftlich kontrollieren.

Schokoladenhersteller Maestrani setzt auf Max Havelaar. «Wir sind ein KMU», sagt Markus Vettiger, «wir können nicht immer vor Ort sein. Wir müssen uns auf Zertifizierungsbehörde oder – organ verlassen.»

In der Realität kann Max Havelaar das Versprechen nicht immer einhalten, nur faire Zutaten zu garantieren. So gibt es auf Kakaoplantagen immer wieder Kinder, die mitarbeiten.

Das weiss auch Max-Havelaar-Chef Renato Isella: «Fair Trade hat nie gesagt, dass wir ein Wundermittel sind, dass wir alle Probleme der Entwicklungsländer lösen.»

Grundsätzlich sei Fairtrade ein Verbesserungsprozess, ein Entwicklungsprozess, kein Zustand.

Nestlé lässt seine Lieferkette durchleuchten

Ebenso mit Kinderarbeit auf Kakaoplantagen konfrontiert ist der Nahrungsmittelkonzern Nestlé. Man sei sich bewusst, dass es Schwierigkeiten gebe.

Deshalb, sagt Nestlé-Chefagronom Hans Jöhr, arbeite Nestlé mit verschiedenen Instituten zusammen, um Probleme der Menschenrechte in der Lieferkette anzugehen.

Unter anderem lässt sich Nestlé seit 2008 vom dänischen Institut für Menschenrechte beraten. Das Institut ist unabhängig und wird hauptsächlich vom dänischen Staat finanziert. Die Beratung von Konzernen wie Nestlé machen drei bis fünf Prozent des Budgets aus.

Das Institut hat Nestlé in verschiedenen Ländern unter die Lupe genommen, so auf Kaffeeplantagen in Vietnam, im Palmöl-Anbau in Indonesien, in der Milchverarbeitung in China und Pakistan, sagt die Direktorin für Wirtschaft und Menschenrechte, Elin Wrzoncki.

Im Lichte der Konzernverantwortungsinitiative fällt das Zeugnis durchzogen aus: «Oft haben wir gesehen, dass die Arbeitsbedingungen in den Nestlé-eigenen Anlagen einigermassen anständig waren. Wenn wir aber zu den Bauern gingen, in die landwirtschaftliche Produktion, stiessen wir auf zahlreiche Menschenrechtsprobleme», sagt Elin Wrzoncki.

Immerhin: Nestlé würde seit diesen Untersuchungen nicht mehr nur darauf achten, was in den eigenen Fabriken passiere, sondern in der gesamten Lieferkette.

Dennoch ist der Konzern gegen die Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz, befürwortet aber eine europäische Lösung.

Hans Jöhr sagt: «Wir können nicht mit einem Beispiel aus der Schweiz arbeiten, sondern sind interessiert, dass man das auf einer europäischen Ebene organisiert, so dass alle Lebensmittelunternehmen Spielregeln haben, die man effektiv nachvollziehen kann und die auch vernünftig sind.»

ECO, 12.10.2020

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